Wer an Bildung spart, verspielt Zukunft

■ taz-Kolummne: Marianne Isenberg, Vorsitzende des Zentralelternbeirates

Unter der Überschrift „Nichts geht mehr“ versucht Ex-Senator Franke ein finanziell begründetes Fehlen jeglicher politischen Handlungsmöglichkeit der PolitikerInnen und des Senats zu begründen. (Sollten dann nicht konsequenterweise Bürgerschaft und Senat aufgelöst werden?)

Er kritisiert „sektorale Problemdiskussionen“ und bezeichnet Sachdiskussionen als „Schattenboxen“, da der Senat zwar durchaus die Einsicht, aber eben nicht über das Geld verfüge, sachlich begründete Forderungen umzusetzen.

Mit dieser globalen Feststellung verzichtet Franke auf die politisch unerläßliche Abwägung unterschiedlicher Forderungen und die Frage, wo Sparmaßnahmen nicht nur inhuman sind, sondern auch erheblich höhere Folgekosten bedingen. Dies gilt z.B. für Sparmaßnahmen im Bildungsbereich, die vermehrt ein Scheitern von Jugendlichen in der Schule zur Folge haben.

So bedeutet das Scheitern in der Schule, das Verlassen der Schule ohne Abschluß — und dies betrifft immerhin 4 % der Jugendlichen — primär eine Beschädigung des Selbstwertgefühls und den Verlust an Lebenschancen. Ein solches Scheitern in der Schule bedingt aber auch erhebliche Folgekosten, sei es durch die Wiederholung einzelner Klassen, oder durch den Wechsel in eine besonders kostenintensive Sonderklasse, oder durch spätere Arbeits-und Perspektivlosigkeit. Die Ausgaben für Bildung sind unerläßliche Investitionen in die individuelle und gesellschaftliche Zukunftsbewältigung.

Die veränderten Anforderungen, denen sich die Schule zu stellen hat, sind von Franke in seiner Amtszeit als Bildungssenator durchaus gesehen worden. Dies hat zu einer Reihe von Reformansätzen geführt — wie z.B. veränderter Schulanfang, Sonderschulkonzeption, Integration Behinderter, Lernbereiche statt Einzelfächer-, die von Franke vertreten und von der Deputation für Bildung beschlossen wurden. All diese Reformansätze hatten jedoch einen entscheidenen Geburtsfehler: Sie wurden beschlossen, ohne daß dafür Ressourcen zur Verfügung standen. Wenn erst die Reformkonzepte beschlossen worden seien, würden sich auch die übrigen Abgeordneten von der Notwendigkeit zusätzlicher Ressourcen überzeugen lassen — so das Credo von Franke und den übrigen SPD-BildungspolitikerInnen.

Franke ging, ohne daß auch nur einer der von ihm initiierten Reformschritte haushaltstechnisch abgesichert war. Dies konnte bisher kaschiert werden, da die für die einzelnen Maßnahmen erforderlichen LehreInnenstunden in der Vergangenheit teilweise aus dem rechnerischen LehrerInnenüberhang zugewiesen werden konnten. Mit dem Abbau dieses Überhanges wird diese Möglichkeit hinfällig. Welche Maßnahmen haushaltstechnisch nicht abgesichert sind, ist allerdings nur teilweise bekannt. Trotz wochenlanger Bemühungen war es dem Zentralelternbeirat (ZEB) nicht möglich, hierüber detaillierte Informationen zu bekommen, da Senatsdirektor Prof. Hoffmann eine entsprechende Information der Eltern durch seine Behörde untersagte. Allerdings wissen wir, daß es um mehrere hundert LehrerInnenstellen geht, die bisher u.a. für folgende Aufgaben verwandt worden sind:

Sicherstellung einer Mindeststundenzahl im Primarbereich, unabhängig von der Klassengröße;

Umsetzung der Sonderschulkonzeption;

Kleinklassen und Differenzierung in Englisch in der Orientierungsstufe

erweitertes Fremdsprachenangebot in der Sekundarstufe I

integrative Maßnahme in den Schulen der Sekundarstufe I

Integration Behinderter

Neuordnung der Ausbildungsberufe

LehrerInnenfortbildung für neu eingeführte Unterrichtsfächer bzw. —inhalte (z.B. Arbeitslehre, Informationstechnische Grundbildung).

Eine Beibehaltung des bisherigen Haushaltsansatzes würde bedeuten, daß in der Zukunft für diese Aufgaben keine LehrerInnenstunden mehr zur Verfügung gestellt werden könnten. Dies hätte u.a. zur Folge, daß die Klassen noch größer würden, daß noch mehr Unterricht ausfallen würde, daß noch weniger Möglichkeiten für die notwendige Förderung benachteiligter Kinder, sowie die Vermittlung veränderter Unterrichtsinhalte bestünden.

Sollte es nicht zu einer Verbesserung im Bildungbereich und insbesondere einer verbesserten Berechnungsgrundlage für die LehrerInnenzuweisung und damit einer weiteren Verschlechterung der schulischen Situation kommen, werden wir als ZEB auch die Möglichkeit eines Schulstreiks erwägen. Obwohl ein Schulstreik den Ausfall von Unterricht bedeutet, kann es Situationen geben, in denen dies das kleinere Übel ist. Lieber einen Tag auf Unterricht verzichten als Bedingungen festschreiben lassen, die ein weiteres Scheitern von Kindern vorprogrammieren.

Marianne Isenberg