Der Ganzkörperfussel

■ Der Fussel — pseudoharmonischer Störenfried

Es gibt Frauen, die müssen in ihrem früheren Leben eine Kleiderbürste gewesen sein. Ununterbrochen zupfen und streichen sie ekelerregt an ihren Männern entlang, als säßen auf deren Ärmeln und Schultern Spinnen, Flöhe und Läuse. Es sind aber nur Fusseln. Psychologische Gemüter könnten jetzt denken, da dieser Vorgang vor allem öffentlich stattfindet, es handele sich um ein besitzanzeigendes Verhalten nach dem Motto: Wes Fussel ich entfern', des Halterin ich bin.

Ich plädiere für eine gegenteilige Interpretation: Der Mann ist der Fussel. Ja, eine Art Ganzkörperfussel. Der kleine scheinbare Fussel auf der Hose — und wer hat jemals das tatsächliche Vorhandensein eines Fussels nachgeprüft, der abgezupft worden zu sein vorgetäuscht wurde — dient nur als pseudostörender Vorwand. Entfernt werden soll, symbolisch, der ganze Mann. Denn kann sich jemand ernsthaft für einen Fussel interessieren? Nein. Das, was liebevolle Hygiene vorgaukelt, ist ein Angriff auf die Oberfläche des Mannes. Man könnte behaupten: der Abgezupfte wird fusselweise abgetragen. Und was darunter zum Vorschein kommt bzw. übrigbleibt, will man das dann etwa nur noch für sich alleine haben? Na also. Claudia Kohlhase