Gemeinsamer Liebesbrief soll die Wogen glätten

Delors fühlt sich als „Aussätziger“ behandelt/ Die Gatt-Verhandlungen im Spannungsfeld von Protektionismus und Atlantizismus  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Mit einem „transatlantischen Liebesbrief“ soll nun geglättet werden, was in den letzten Wochen die Gemüter auf beiden Seiten des Atlantiks aufpeitschte. Um die langfristigen Beziehungen zwischen den USA und der EG in diesen von Gatt-Kriegsgeschrei gestörten Zeiten zu „festigen“, wird dieser Tage eine sogenannte „gemeinsame Erklärung“ zusammengestellt.

Die „weitere Institutionalisierung des politischen Abstimmungsprozesses zwischen der USA und der EG“, so die Zielsetzung, will US- Präsident Bush bei Treffen mit den EG-Größen Kohl und Mitterrand am Rande der KSZE-Konferenz in Paris nächste Woche auf den Weg bringen. Denn Handelsverträge, die die EG inzwischen en masse mit den Ländern Mittelosteuropas abschließt, unterhält die Gemeinschaft bislang weder mit den USA noch mit Japan. Diese prekären Geschäftsbeziehungen werden noch immer bilateral geregelt.

Zum „Liebesgeflüster“ waren bereits die EG-Präsidenten Giulio Andreotti und Jacques Delors vergangenen Dienstag nach Washington gejettet. Und gestern fand der Gegenbesuch von US-Außenminister Jim Baker in Brüssel statt. Mit von der Partie waren US-Handelsminister Clayton Yeutter und die Gatt-Unterhändlerin Carla Hills.

Wegen den Veränderungen in Osteuropa und der Entwicklung in der EG beschwören die Globalpolitiker beider seiten schon seit Monaten eine „neue Qualität des Atlantizismus“. Dahinter steckt auf Seiten der USA die Befürchtung, aus der „Festung Europa“ ausgeschlossen zu werden. Denn obwohl sich die US- Importe nach Europa in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt und damit das enorme US-Handelsdefizit erleichtert haben, hält sich in der US- Unternehmerszene die Befürchtung, im Binnenmarkt '92 nichts mehr zu melden zu haben.

Und auch die Bush-Regierung bemüht sich erst um bessere Kontakte zur neuen Großmacht, seit das US- Kontrollorgan Nato in Europa an Ansehen verliert. Wie schwer es den Bush-Mannen noch immer fällt, die neuen Verhältnisse anzuerkennen, machte jedoch EG-Kommissionspräsident Delors nach seiner Rückkehr aus Washington deutlich. Die Amis hätten ihn wie einen „Aussätzigen“ behandelt. Trotzdem will auch er die Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen mit der alternden Supermacht fördern.

Der Euro-Stratege verspricht sich davon, Konflikte wie den Gatt-Streit schon frühzeitig auf informeller Ebene zu beheben. Damit will er die US-Amerikaner in sein Binnenmarktprojekt einbinden, ohne ihnen jedoch das gewünschte Mitspracherecht zu geben.

Daß die US-Regierung der EG Handelspolitik und Produktionsbedingungen diktieren möchte, macht der gegenwärtige Gatt-Streit deutlich. Schließlich hätte die Umsetzung der von Yeutter am Mittwoch erneuerten Forderung, weltweit die Agrarsubventionen bis zum Ende des Jahrtausends um 75 Prozent und die Exportunterstützung um 90 Prozent zu verringern, die US-Amerikanisierung der EG-Landwirtschaft zur Folge.

Das Gegenangebot der EG, die Subventionen im Zeitraum von 1986 bis 1996 um 30 Prozent zu kürzen, stand deshalb auch am Freitag im Mittelpunkt der Gespräche. Sie werden heute von US-Unterhändlerin Carla Hills und ihrem EG-Kollegen, dem Außenkommissar Frans Andriessen, fortgesetzt.

Die beiden sollen versuchen, en detail zu klären, wo die Differenzen liegen. EG-Agrarkommissar Ray Mac Sharry hatte letzten Montag behauptet, das EG-Angebot würde — auf die Jahre 1991 bis 1996 berechnet — der US-Forderung weitgehend entsprechen. Es sei alles eine Frage der Interpretation und hinge davon ab, welche Berechnungsmethoden angewandt würden.

Trotz gegenteiliger Rhetorik zeigten sich dann auch die US-Unterhändler zuversichtlich, daß bei den Abschlußverhandlungen ein Kompromiß gefunden werden kann. Einigkeit herrschte, daß man die Uruguay-Runde nicht platzen lassen will. Allerdings wurde auch deutlich, daß neben den Agrarsubventionen der neu in die Gatt-Verhandlungen aufgenommene Dienstleistungsbereich einen Abschluß der Runde gefährdet.

Um eventuelle Kompromißentscheidungen zu erleichtern, hat der italienische Außenminister und derzeitige Präsident des EG-Ministerrats, Gianni de Michelis, vorsorglich ein Außenministertreffen für Anfang Dezember in Brüssel angesetzt. Auch die Agrar- und Wirtschaftsminister werden gegebenfalls in Brüssel einfallen, um sicherzustellen, daß EG-Kommissar Andriessen bei dem Welthandelsdeal nicht über den Tisch gezogen wird.

Bislang beschränkt sich sein Verhandlungsmandat nur auf den vorletzten Dienstag beschlossenen 30-Prozent-Kompromiß. Kleinere Ergänzungen dazu kann der niederländische Eurokrat in Absprache mit seinen Kommissionskollegen und einer Gruppe von Experten aus den Mitgliedsländern aushandeln. Sollten allerdings Zugeständnisse nötig werden, die über das 30-Prozent-Angebot hinausgehen, muß Andriessen von den Ministern ein neues Verhandlungsmandat bekommen. Wie auch immer die von den über 100 Regierungen erzielten Kompromisse im Endeffkt aussehen werden, sie müssen danach von den jeweiligen Parlamenten, in der EG von Mitgliedsparlamenten und dem Europäischen Parlament, ratifiziert werden.