Arsenale ohne Kontrolle

WissenschaftlerInnen warnen vor wachsender Gefahr eines zufälligen Atomkrieges der Schwellenländer  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Ein auf den ersten Blick überraschender Vorschlag ist auf einer Konferenz über die Verhinderung eines zufällig ausgelösten Atomkrieges gemacht worden, die in dieser Woche in Stockholm tagte: Die Verbreitung atomaren Know-hows solle nicht eingeschränkt, sondern ganz gezielt betrieben werden, forderten die 200 aus aller Welt angereisten TeilnehmerInnen der von der Stockholmer Akademie der Wissenschaften, den schwedischen Reichstagsparteien und den „Ingenieuren gegen Atomkraft" veranstalteten Tagung.

Es ging jedoch um ganz bestimmte Technologien, über die die traditionellen Atommächte, wie die USA und die Sowjetunion, schon seit langem verfügen, die den Atomwaffen-Schwellenländern jedoch bislang fehlt. Diese Staaten — zu ihnen zählen Israel, Indien oder Pakistan — sind zwar im Besitz der Kenntnisse zum Bau von Atombomben, nicht aber des tatsächlich noch geheimen Sicherheits-Know-hows. Die großen Atommächte, aber auch China und Frankreich, haben die Sicherheitssysteme ihrer nuklearen Arsenale so perfektioniert, daß von ihnen die geringste Gefahr eines zufälligen Atomschlags droht. Die Befehlsgewalt über den Einsatz nuklearer Waffen liegt immer bei der politischen Führung, unabsichtliches — oder absichtliches — Drücken des „roten Knopfes" durch Unbefugte ist nicht möglich oder bliebe folgenlos.

Die Forderung der Konferenz lautete, das Funktionieren dieser bislang geheimen Sicherheitseinrichtungen systematisch an die nuklearen Schwellenländer weiterzugeben. Nur so sei zu verhindern, daß die Gefahr eines zufälligen Atomkrieges noch weiter steige, lautete das Fazit.

Ein weiteres heißes Konferenzthema war die Gefahr, daß in einem mehr und mehr aus den Fugen geratenden Land, wie es die Sowjetunion zu werden droht, eine oder einige der dort gelagerten 30.000 Atombomben in die Hände terroristischer oder nationalistischer Gruppen gelangen könnte. Ein französischer Wissenschaftler wies darauf hin, daß in einigen der nach Unabhängigkeit strebenden Republiken der Sowjetunion, wie Litauen, Kasachstan und Weißrußland, Atomwaffen stationiert seien. Wer, so fragte ein Redner aus den USA, könne ausschließen, daß nicht schon eine Waffenmafia im Auftrag des Irak oder Libyens sich auf einen solchen Coup vorbereite? Schließlich habe es in letzter Zeit wiederholt Angriffe separatistischer Gruppen auf Waffenlager gegeben.

Die Konferenz forderte, Atomwaffen vollständig abzuschaffen, denn mit fortschreitender Abrüstung sei das Risiko eines zufälligen Atomkriegs noch keineswegs verringert. Doch man konnte kein überzeugendes Konzept präsentieren, wie dies politisch erreicht werden könne. Ein weiteres Problem: Bislang gibt es noch keine ausgereifte Technik, Atombomben wieder in ungefährliche Bestandteile zu zerlegen, nur einzelne Modelle, die über das Versuchsstadium nicht herausgekommen sind.