„In Bosnien entscheidet sich unser Schicksal“

Die Wahlen in der Teilrepublik Bosnien spiegeln die Konflikte im Vielvölkerstaat Jugoslawien wider  ■ Aus Sarajevo Roland Hofwiler

„Ganz Jugoslawien blickt auf die Wahlen in der Republik Bosnien am kommenden Wochenende, den ersten demokratischen und freien seit Kriegsende“. So titelte gestern das Regierungsblatt 'Borba‘ und wiederholte damit zum unendlichen Mal, daß sich hier die Zukunft Jugoslawiens entscheide. Denn die gebirgige Gegend um Sarajevo bilde das im kleinen ab, was das ganze Land kennzeichne — ein Durcheinander von Nationalitäten und Religionen. In der Tat, vierzig Prozent der Einwohner sind Muslimanen, dreißig Prozent Serben, zwanzig Prozent Kroaten, der Rest verteilt sich auf Albaner, Roma, Türken, Juden, Ukrainer, Walachen und Slowenen. Und fast jede dieser Volksgruppen schickt ihre eigene Partei ins Rennen, über vierzig an der Zahl. Eingefleischte Beobachter der bosnischen politischen Szene befürchten, es könnte in der nächsten Woche zu großen nationalen Ausschreitungen kommen, wenn es beim Wahlgang am Sonntag zu einer Pattsituation kommt und sich eine der großen nationalen Parteien im neuen Parlament durch das Wahlergebnis „benachteiligt“ fühlt.

Mazedonien gibt in diesen Tagen einen Vorgeschmack auf das, was in Bosnien zu erwarten ist. Auch gestern demonstrierten in über zehn Städten dieser südlichsten jugolawischen Republik Tausende Bürger wegen angeblicher Wahlfälschungen. Obwohl noch immer keine amtlichen Endergebnisse vorliegen, wußte die einzige, wendekommunistisch orientierte Tageszeitung Skopjes, die 'Nova Makedonia‘, bereits, daß die nationalalbanische Partei zusammen mit der KP weit vorne in der Wählergunst liegen. Aber: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Auf Reden und Spruchbändern forderten Tausende nationalgesonnener Mazedonier: „Albaner raus aus Mazedonien“, „Albaner, geht freiwillig, denn unser Land ist unser“ oder auch „Die KP fälscht, die KP verrät das mazedonische Volk, doch Tod den Verrätern“ und „Wir sind hier nicht in Rumänien“. Glaubt man den lokalen Zeitungsnotizen, die Gerüchte und Spekulationen zu einem ungenießbaren Brei verrühren, gab es bereits Schießereien zwischen Albanern und Mazedoniern, Altkommunisten und mazedonisch-nationalistischen „IMRO“-Anhängern.

Angesichts dieser aufgeputschten nationalen Atmosphäre wollte Premier Ante Markovic, dessen „Bund der Reformkräfte“ in Skopje wie in Sarajevo zur Wahl antritt, am Donnerstag eine Grundsatzrede an alle Bürger richten. Die angeblich freien Medien Serbiens und Kroatiens boykottierten gestern jedoch die Appelle des Regierungschefs und druckten Erklärungen der jeweiligen Republiksregierungen, in denen Markovic unverzüglich zum Rücktritt aufgefordert wird. Der Zagreber 'Vjesnik‘ sieht in dem „selbsternannten jugoslawischen Retter“ Markovic einen Scharlatan, der den Menschen „ihre nationale Identität“ zu rauben trachte. Markovic wiederum beschuldigte in seiner Rede die Republikregierungen von Serbien, Kroatien und Slowenien, den Vielvölkerstaat ins Verderben treiben zu wollen. Sie versuchten mit subtilen Formen des Handelskrieges, die Wirtschaftsreform zu Fall zu bringen. Eine Reform, die ausdrücklich von westlichen Staaten und vom IWF begrüßt werde. Bei den freien Wahlen gehe es um die Verankerung der Bürgerrechte, eine modernen Demokratie und privatwirtschaftlicher Produktionsformen. Markovic verteidigte ausgesprochen offensiv seine Wirtschaftspolitik, deren Kernpunkte die Privatisierung der Staatsbetriebe, eine rigorose Geldpolitik und die weitere Konvertierbarkeit des Dinar bilden. Der Dinar werde im Verhältnis 7:1 weiter an die D-Mark gekoppelt. Mit der Privatisierung will Markovic eine „wahre Jagd“ auf die Macht jener Regionalpolitiker eröffnen, „die krampfhaft an ihren Privilegien und ihrer Machtposition festhalten. Unternehmen in den roten Zahlen müßten eben Pleite gehen. Makovic' Kampfansage ist auf dem Hintergrund einer gesamtjugoslawischen Arbeitslosigkeit von schon jetzt 1,2 Millionen Menschen zu sehen. Für das Reformprogramm sei eine Unterstützung aus dem Ausland in höhe von etwa 2,5 Milliarden Dollar notwendig — das Ausland aber wolle die Weiterexistenz Jugoslawiens als Bundesstaat. Der Premier appellierte ans jugoslawische Verantwortungsbewußtsein: „Hört auf mit eurer nationalistischen Euphorie, versteht euch endlich als Teil Jugoslawiens“, appellierte der Premier, ohne Namen zu nennen.

Markovic‘ Appell wird in den letzten Tagen des bosnischen Wahlkampfes ungehört verhallen. Erst die nationale Selbstfindung, dann Reformen in Politik und Wirtschaft, lautet der fast gleichlautende Tenor auf den unzähligen Wahlversammlungen in Sarajevo. Unterdessen prägt in diesen Tagen eine ausschweifende Diskussion über einen Volksentscheid unter dem Motto „Austritt aus Jugoslawien ja oder nein“ das politische Leben in Kroatien und Slowenien und drängt die Brisanz des bosnischen Wahlkampfes und die Ereignisse in Mazedonien in den Hintergrund. Die Regierungschefs beider Nordrepubliken wollen dahin wirken, daß sich Anfang des kommenden Jahres zwischen Norditalien, Österreich und Ungarn ein neuer Staat für souverän erklären kann. Markovic' knapper Kommentar: Er werde dies mit allen Mitteln zu verhindern trachten. So denkt auch die Armee, die sich am Wochenende als Volkspartei in Belgrad konstituieren möchte. Man mag gespannt sein, wie diese „Umwandlung“ vor sich gehen soll.