Cohn-Bendit zieht Studie über Sinti zurück

Dezernat für Multikulturelles gesteht Fehler bei der Fragestellung ein/ Organisationen von Sinti und Roma zu Gesprächen bereit  ■ Aus Frankfurt Eva Hase-Mihalik

Auf der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag, als auch der Bericht zum einjährigen Bestehen des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten vorgestellt wurde, gab Stadtrat Cohn-Bendit bekannt: Die von seinem Amt in Auftrag gegebene Studie über die Situation von Sinti und Roma, vom Verband deutscher Sinti und Roma in Hessen als „rassendiskriminierend“ bezeichnet, wird eingestellt. Cohn-Bendit in seiner Rede vor den Stadtverordneten: „Die von uns geplante Studie wird von uns zurückgezogen. Ich sage dies in aller Deutlichkeit und ich sage auch, daß ich nach wie vor zu dem inhaltlichen Vorhaben stehe. Ich sehe aber auch, daß ein Projekt, das durch Fehlinterpretationen in der Öffentlichkeit so belastet worden ist, nicht gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt werden kann.“

Was war der Stein des Anstoßes? Cohn-Bendit und das Amt für multikulturelle Angelegenheiten hatten die Sintiza Melanie Spitta und zwei zusätzliche Kollegen beauftragt, eine Studie über die Situation von Sinti und Roma in Frankfurt zu machen. Im Rahmen dessen war vom Amt an verschiedene Behörden ein Brief geschickt worden, in dem die drei vorgestellt wurden und die Behörden aufgefordert wurden, alle ihre Erfahrungen einzubringen, um „ein Konzept zur Bewältigung der Fragen wie Kleinkriminalität, bettelnde Kinder, Reisegewerbe usw.“ zu entwickeln.

Nach Auffassung des Verbandes Deutscher Sinti war dies ein Skandal. Denn mit diesem Brief werde die rassistische Vorstellung weitertransportiert, daß dies die typischen Bereiche seien, mit denen die ganze Volksgruppe zu tun habe: Bettelei und Kleinkriminalität. Als ginge nicht die Mehrheit der Volksgruppe einer normalen Tätigkeit nach.

Cohn-Bendit, der nun nicht gerade im Verdacht steht, rassistische oder rassendiskriminierende Politik zu betreiben, hatte aber zu allem Überfluß — um gegen die „Idealisierung“ des Lebensstils von Roma zu polemisieren — sowohl in einem Interview gegenüber der 'Hamburger Rundschau‘ als auch, fast wortgleich, in einer Kolumne des letzten 'Pflasterstrandes‘ folgendes behauptet: „Wir müssen dieser Gesellschaft klarmachen, daß wir diese Menschen aufnehmen müssen, obwohl wir wissen, daß ihre Lebensweise in seßhaften Gesellschaften wie der unseren schwer zu vermitteln ist. Sie haben ein anderes Verhältnis zum Eigentum, zur Autorität, und sie haben eine sehr patriarchalische, machohafte Lebensauffassung. Durch jahrzehntelange Ausgrenzung sind sie gezwungen worden, eine eigenständige Überlebensstrategie zu entwickeln, und dazu gehören das Betteln und das aggressive Handeln und, wenn es sein muß, der Diebstahl. Sie wollen nicht nur Opfer sein, und sie haben gelernt, aus ihrer Verfolgung eine Chuzpe zu entwickeln. Aber, wenn sie hier leben wollen, muß man die Roma-Flüchtlinge durch Auseinandersetzung zwingen, sich mit den hiesigen Lebensformen auseinanderzusetzen, damit sie hier zurechtkommen. Sonst gehen wir einer gesellschaftlichen Katastrophe entgegen.“

Dies sind nun all die Vorurteile, gegen die Sinti und Roma seit Jahrzehnten erbittert ankämpfen — und weshalb viele ihnen keinen Platz in dieser Gesellschaft einräumen wollen. Ganz abgesehen davon, daß mit einem Brief an die Behörden wie dem obengenannten die Beamten aufgefordert wurden, praktisch nur negative Daten weiterzugeben, befürchtete der Veband deutscher Sinti und Roma eine Art „Sondererfassung“ durch die Berichte der Behörden. Und damit hat diese Volksgruppe die tragischsten Erfahrungen gemacht: Während des Nationalsozialismus forschten Mitglieder von Gesundheitsämtern und Behörden Sinti und Roma aus, stellten Dateien und Karteilisten auf, um sie so zu erfassen und dann später in die Konzentrationslager und den Tod zu schicken. Bei der Vorbereitung dieses Völkermords taten sich Dr.Robert Ritter und Eva Justin von der rassenbiologischen Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamts in Berlin hervor. Nach Kriegsende wechselten sie nach Frankfurt, um dort bis zu ihrem Tod ungestraft ihren Dienst weiter zu versehen. Die Dateien sind heute noch teilweise im Besitz von Polizeibehörden.

Dabei war es Daniel Cohn-Bendit genau um das Gegenteil, die Verbesserung der Lebenssituaton von Sinti und Roma in der Stadt gegangen. „Was wir gesucht haben war die Beschreibung von Problem- und Konfliktfeldern, um Ansatzpunkte dafür zu finden, wie an die Probleme herangegangen werden kann. Personenbezogene Daten sollten niemals erhoben werden und sind auch für unser geplantes Vorhaben von keinerlei Interesse.“

In seinem Bericht vor der Stadtverordnetenversammlung nahm er indirekt Abstand von seinen pauschalisierenden Aussagen in 'Pflasterstrand‘ und 'Hamburger Rundschau‘: „Wir wissen, daß Sinti und Roma keine einheitliche Gruppe darstellen, genauso wie auch andere ethnische Gruppen keine Homogenität ausweisen. Auch ihre Lebensbedingungen sind unterschiedlich. Wir wissen, daß unterschieden werden muß, eben um die größtmögliche Integration dort zu erreichen, wo diese gewünscht wird.“

Cohn-Bendit forderte die Organisationen von Sinti und Roma auf, (Rom-Union Frankfurt und Landesverband deutscher Sinti und Roma in Hessen) sich mit ihm zusammenzusetzen, um gemeinsam einen Plan gegenüber den Anforderungen der praktischen Situation zu entwickeln. Dazu meinte Daniel Strauß, Vorstandsmitglied des Verbandes deutscher Sinti und Roma, daß es sicher noch viele Punkte gebe, die man mit Cohn-Bendit klären müsse, insbesondere seine Äußerungen in den Zeitschriften. „Aber, da die Studie mit allen Konsequenzen zurückgezogen wurde, ist es für uns jetzt wichtig, das Gespräch zu suchen, zumal der Anspruch den Sie hatten, bzw. den Sie hier im Plenum genannt haben, ehrbar ist und in unserem Interesse liegt.“ Auch Harald Feller, Vorsitzender der „Rom-Union Frankfurt“, der nach eigenen Worten von der Studie des Amtes genauso überrascht wurde wie der Verband deutscher Sinti und Roma, hält ein baldiges Zusammentreffen zwischen mulitkulturellem Amt und den Organisationen für sinnvoll.