Momper: „Mir tut das richtig weh“

■ Interview mit dem noch Regierenden Bürgermeister von Berlin, Walter Momper INTERVIEW

taz: Die AL hat nicht nur gestern abend die Koalition mit der SPD verlassen, sondern auch noch einen Mißtrauensantrag gegen Sie angekündigt. Sehen Sie dem mit Gelassenheit entgegen?

Walter Momper: Es ist mir vollkommen unverständlich, wie man vor dem Hintergrund der Räumung von gewalttätigen Kriminellen in der Mainzer Straße die Koalition verlassen kann und dann auch noch einen Mißtrauensantrag stellen möchte. Damit solidarisiert man sich natürlich mit Gewalttätern schlimmster Sorte. Es geht hier nicht um Hausbesetzer und schon gar nicht um Wohnungslose. Nur elf Personen, die dort angetroffen worden sind, hatten keinen festen Wohnsitz, fast die Hälfte sind Westberliner gewesen und weitere 78 kamen aus Westdeutschland. Daran sieht man, daß sich hier Personen versammelt haben, die Randale machen wollten. Daß die AL zusammen mit CDU und „Republikanern“ den Regierenden Bürgermeister abwählen will, der neunzehn Monate lang ihrer eigenen Koalition vorgestanden hat — mit guten und vorzeigbaren Ergebnissen für alle Beteiligten —, ist eine Politik der „verbrannten Erde“. Mir tut das richtig weh. Die Abstimmung wird spannend, denn es ist die Abstimmung darüber, ob der Kurs des Senats gegenüber den Gewalttätern in der Mainzer Straße mitgetragen wird oder nicht.

Die AL kritisiert nicht nur den massiven Polizeieinsatz, sondern auch das Verhalten der SPD-Spitze, die den Koalitionspartner vor den Räumungen überhaupt nicht informiert hat.

Es hat in den letzten 19 Monaten vielleicht drei Dutzend Häuserräumungen gegeben, alle entsprechend der Berliner Linie — auch die ersten drei Räumungen am Montag, die die Randale ausgelöst haben. Diese Berliner Linie ist im Einvernehmen mit der AL am 24. Juli 1990 auch für den Ostteil der Stadt in Kraft gesetzt worden, und dieser Linie entsprechend ist sowohl am Montag als auch bei der Räumung der Mainzer Straße verfahren worden. Es ist überhaupt nicht üblich, daß vor Einzelmaßnahmen in Ressorts andere gefragt werden, und auch bei den hinter uns liegenden knapp 50 Räumungen ist die AL nicht gefragt worden und wollte das auch gar nicht. Ich halte deswegen dieses Argument für ziemlich absurd.

Die CDU-Opposition hat gefordert, die gesamte Regierung solle zurücktreten. Werden Sie das tun?

Dafür habe ich überhaupt keinen Anlaß, weil ich die Räumungen für richtig halte. Wir werden weiter bei der mit der AL beschlossenen Berliner Linie bleiben, die auch in diesen Fällen streng eingehalten wurde. Es hat sich analog zu den Ereignissen 1980 im Vorfeld von Wahlen um den Versuch gehandelt, den Senat unter Druck zu setzen, indem man Barrikaden baut und versucht, die Polizei zu provozieren. Im übrigen wird das Abgeordnetenhaus darüber entscheiden, ob ich im Amt bleibe oder nicht, wenn die AL bei ihrem Mißtrauensvotum bleibt. Ich wäre dann der erste Regierende Bürgermeister von Berlin, der auf diese Art und Weise aus dem Amt geht.

Gibt es nach dem 2. Dezember noch eine Perspektive für Rot-Grün in Berlin?

Ich sehe erst einmal die Perspektive des 2. Dezembers, da wird der Wähler entscheiden. Ich werde dafür kämpfen, daß Klarheit in Berlin herscht. Wenn die AL nicht koalitionsfähig ist, dann werden auch die Wähler der AL überlegen müssen, SPD zu wählen, denn nur sie steht für eine fortschrittliche Regierung in Berlin.

Sie halten die AL nicht mehr für koalitionsfähig?

Das heißt gar nichts. Die Frage, ob die AL koalitionsfähig ist, hat sie selbst mit ihrer Entscheidung beantwortet — die brauche ich nicht beantworten.

Aber die AL will trotz ihres Ausstieges bei einer rechnerischen Mehrheit wieder mit der SPD verhandeln. Werden Sie dazu bereit sein?

Das finde ich auch merkwürdig. Eine Stunde, nachdem die Koalition aufgekündigt und der Spitzenmann weggeschossen werden soll, verkündet man, ihn doch wieder haben zu wollen. Das ist wie der Versuch, erst das Porzellan zu zerdeppern, von dem man hinterher wieder essen will. Von Strategie kann ich hier nichts erkennen, und es ist darüber hinaus Ausdruck einer ziemlichen Bewußtseinsspaltung. Interview: Kordula Doerfler