Nach dem Ende der Berliner Koalition:
: Hat Rot-Grün noch eine Chance?

■ Wird das Scheitern der Berliner Koalition das Ende rot-grüner Hoffnungen für die nächsten Jahre bedeuten? Die Alternative Liste redet schon von neuen Gesprächen nach der Wahl. Auch Momper bedauert das Ende, er will AL-Stimmen zur SPD hinüberziehen.

Bittere gegenseitige Schuldzuweisungen, aggressive Anklagen und tiefe Depression: So war gestern mittag die Stimmung bei den beiden ehemaligen Koalitionspartnern SPD und AL Berlin im Rathaus Schöneberg. Knapp zwanzig Stunden zuvor hatte die Fraktionsvorsitzende der Alternativen Liste, Renate Künast, den Ausstieg ihrer Partei aus dem Regierungsbündnis erklärt. Was Walter Momper und den SPD- Fraktionschef Ditmar Staffelt aber gestern erst recht in Rage brachte, war die Ankündigung der AL, nach dem Ende der Koalition gleich einen Mißtrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister zu stellen. „Das ist die Politik der verbrannten Erde!“ wetterte Staffelt auf einer Pressekonferenz und fügte hinzu, daß „dieser ordentliche Tritt vor das Schienbein der SPD“ dazu geeignet sein, „jede Perspektive auf ein neues rot-grünes Bündnis nach der Wahl zu zerstören“. Staffelt war derjenige SPD-Politiker, der mit den frustrierten Alternativen nach Mompers Alleingängen immer ein Bierchen trinken gehen mußte. Meistens wurden mehrere daraus.

Dem Antrag der AL wollen Reps und CDU im Abgeordnetenhaus zustimmen. Innerhalb der AL-Fraktion ist der Antrag, der von Renate Künast vorgeschlagen worden ist, auf herbe Kritik gestoßen. Aus diesem Beschluß spreche „der Wunsch, die Koalition nicht nur zu verlassen, sondern im nachhinein auch noch ordentlich zu zertrümmern“, kritisierte der dem Realo-Flügel zugehörende Abgeordnete Bernd Köppl gegenüber der taz. Die Tatsache, daß der Ausstieg aus der Koalition nicht von einer Mitgliedervollversammlung, sondern von der Fraktion beschlossen wurde, bezeichnete er als „Ende der Basisdemokratie in der AL“. Der SPD-Fraktionschef Staffelt appellierte zwar noch einmal an die AL, sich genau zu überlegen, ob sie Momper gemeinsam mit der CDU und den Reps stürzen wolle. Dann, so sollen die SPD-Äußerungen andeuten, könnten tatsächlich die Chancen auf eine Neuauflage der SPD/AL-Koalition schwinden, auch wenn es nach dem 2. Dezember eine rechnerische Mehrheit geben sollte. Der Sprecher der AL, Stephan Noe, deutete aber an, warum es in diesem Punkt kein Zurück mehr geben könne: „Es wäre fatal, wenn die CDU mit einem Mißtrauensantrag gekommen wäre, dem wir dann hätten zustimmen müssen“, meinte er. Staffelt schlug gestern vor, bei dieser Abstimmung den Fraktionszwang auszusetzen — ein letzter verzweifelter Versuch, zu retten, was offenbar nicht mehr zu retten ist. Den Mißtrauensantrag kann jetzt nur noch — und das ist mitten im Wahlkampf unwahrscheinlich — eine Mitgliederversammlung der AL rückgängig machen.

Streit um Amtshilfe aus dem rot-grünen Hannover

Das Auseinanderbrechen der 600 Tage alten Koalition beschäftigte gestern auch die Bonner Oppositionsparteien und die noch relativ jugendlich wirkende rot-grüne niedersächsische Landesregierung in Hannover. Als „unheimlich schade“ bezeichnete der SPD-Landesvorsitzende Johann Bruns das Scheitern des Bündnisses in Berlin. Schon vor Wochen hatte Bruns Kritik an Mompers Umgang mit der AL geübt. Der Berliner Bürgermeister mache aus jeder Meinungsverschiedenheit einen öffentlichen Konflikt. Jetzt werde die Verantwortung in Hannover noch größer, den Nachweis zu erbringen, „daß Rot-Grün nicht nur geht, sondern gut geht“, meinte Bruns. Wegen der Entsendung von 400 niedersächsischen Polizisten zum Häuserräumen nach Berlin kam es indes auch in Hannover zum Streit zwischen den Koalitionspartnern. Der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Hannes Kempmann, warf der SPD vor, den Koalitionspartner darüber nicht informiert zu haben. Der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski wies aber darauf hin, daß diese polizeiliche Amtshilfe auf einer Kabinettssitzung erörtert worden sei.

Vogel sieht bei Rot-Grün „viel Positives“

SPD-Chef Vogel bekundete in Potsdam seine „völlige Übereinstimmung“ mit Walter Momper und bezeichnete den Mißtrauensantrag der AL als „Theater“. Die rot-grüne Koalition habe „auch viel Positives zustande gebracht“, meinte Vogel, er machte eine Neuauflage der Koalition aber von einer eindeutigen Distanzierung von Gewalt abhängig.

Völlig sprachlos standen gestern die linken Sozialdemokraten vor dem rot-grünen Scherbenhaufen in Berlin. Der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger lehnte ein Statement zu den Ereignissen ab. Nicht ein einziger Sozialdemokrat in Berlin war dazu bereit, den harten Polizeieinsatz wenigstens kritisch zu hinterfragen. Die Fraktion habe „einmütig“ diskutiert, betonte Staffelt denn auch und erklärte, daß der Mißtrauensantrag der AL zu einer „starken Solidarisierung in der Partei“ geführt habe. Claus Christian Malzahn