Mit der Freundin Zungenküsse geübt

■ Die allerbeste Freundin — ausbeutbar und austauschbar?

“Wenn ich meine Freundin nicht gehabt hätte, hätte ich meinen Mann 15 Jahre früher verlassen“, sagt eine heute glücklich geschiedene Frau. Warum Freundinnen so wichtig sind, aber auch wieder nicht „so-o-o wichtig“, haben Michaela Huber und Inge Rehling, Psychologinnen aus Kassel, untersucht, indem sie 60 Frauen zwischen zwanzig und vierzig befragten. Daraus wurde das Buch „Dein ist mein halbes Herz“, aus dem Michaela Huber am vergangenen Freitag im Frauenkulturhaus las und berichtete. Fast siebzig Frauen saßen dicht gedrängt auf Stuhlreihen und auf dem Boden. Und — entlarvt — hielten sie sich zeitweise die Bäuche vor Lachen.

Frauen reden, reden, reden. Das haben sie von ihren Müttern gelernt. Durch Reden wird der Welt alles Furchterregende genommen. Die Mutter, die sich für die Familie aufopfert, duldet keinen Widerspruch. Aus Dankbarkeit muß die Tochter eine liebe Tochter sein. Sonst straft die Mutter sie mit Schweigen.

Auch später brauchen die meisten Frauen eine Freundin, mit der sie über Probleme reden können. Das spätere Problem, das ist meistens der Mann in ihrem Leben. „Was, das läßt du dir gefallen?“ so die Freundin, „das nächste Mal, wenn er das zu Dir sagt, dann sagst du...“ Und schon ist die Wut in der imaginären Gegenwehr verpufft, die Männer brauchen nichts mehr zu fürchten.

Oft ist die Freundin en vogue, wenn Probleme anliegen. Konflikte innerhalb der Frauenbeziehung werden konsequent ausgespart. So kommt es, daß Freundinnen gewechselt werden, ohne Streit und Gespräch. Oder es knallt einmal laut, und dann ist Schluß. Vorerst jedenfalls. Manche Frauenfreundschaften überstehen diese Black-Outs jedoch über viele Jahre.

Besonders deutlich wird die Qualität von Frauenfreundschaften während der Pubertät. Vor dem ersten Freund wird alles, vom Outfit bis zu den sexuellen Spekulationen bis ins Detail durchgekakelt. Eine Frau erzählt im Buch: „Wir haben besprochen, ob ich mit ihm schlafen soll, und wie es funktioniert. Am Tag, nachdem es geschehen war, habe ich sie sofort angerufen.“ Eine andere: „Wir haben Zungenküsse geübt, um das mit den Jungen nachher zu können.“ Viele Freundinnen kuscheln und streicheln sich, aber, so Michaela Huber, sie nehmen den Eigenwert der Beziehung nicht wahr und blocken ab, wenn es „ernst“ wird. „Die eigene Ich-Abrundung kommt erst durch den Mann. Und dann ist die Freundin zur Unbedeutsamkeit verdammt.“

Die Freundin — je nach biographischer Konstellation — einmal ernst und dann wieder nicht so ernst zu nehmen, bedeutet schließlich, so Michaela Huber, sich selbst als Frau nicht ernst zu nehmen. Das sei bei Lesben anders. Denn sie haben den Mut, die Liebe zur Freundin auszuleben, ihre eigenen Gefühle und die andere Frau ernst zu nehmen.

Die gute Freundin, Vertraute, Beichtmutter und Ratgeberin neben der Geliebten, hat allerdings bei Lesben dieselbe Funktion wie bei Hetero-Frauen. Und an allem ist die Mutter schuld. Denn sie hat uns schließlich zu diesen verständnisvollen, harmoniesüchtigen, konfliktunfähigen Wesen gemacht. Eine Einschränkung: So verbittert-“böse“ sind nur die Nur-Hausfrauen, denn das waren alle Mütter der Befragten. bear

Michaela Huber/Inge Rehling, Dein ist mein halbes Herz, Fischer TB, 10,80 Mark