„Mein Papa hat mit mir geschlafen“

■ Fünf Jahre für fortgesetzten inzestuösen Mißbrauch / Vater mißbrauchte seine Tochter seit dem 12. Lebensjahr

Er gehe „natürlich“ in die Revision, erklärte Helmut K. (Namen der Betroffenen geändert), der seine heute 16jährige Tochter seit ihrem 12. Lebensjahr sexuell mißbraucht hat. Zu fünf Jahren Gefängnis hat ihn die dritte Strafkammer des Landgerichts Verden am letzten Freitag verurteilt.

K. habe „seelischen Mord“ an seiner Tochter begangen, erklärte der Vorsitzende Richter Helmut Wiehr in der Urteilsbegründung. Durch ein Geständnis hätte er ihr wenigstens die Tortur des Prozesses ersparen können, an der beteiligt gewesen zu sein, er, Wiehr, sich schäme.

Der Prozeß zog sich über drei Verhandlungstage. Mehr als drei Stunden wurde das für seine 16 Jahre immer noch sehr kindlich wirkende Mädchen unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen. Was sie zwischen Phasen langen Schweigens mühsam herausbrachte, stellen Richter und Psychologin Sonja Stadler zusammengefaßt so dar: Seit Gabis zwölftem Lebensjahr kam der Vater zu ihr ins Zimmer, wenn sie bei den Schularbeiten saß und begann, sie am ganzen Körper anzufassen. Die ersten Male oberhalb der Kleidung, dann auch darunter. Seit Gabis Bruder im Sommer 1988 ins Internat kam, hatte der Vater völlig freie Bahn. Wenn er von der Nacht- oder Frühschicht kam, war seine Frau noch nicht zu Hause. Er begann, die damals noch nicht 14jährige im Elternschlafzimmer zu entkleiden und ging mindestens ab März 1989 bis zum Koitus.

Im April/Mai fürchtete Gabi, schwanger zu sein und vertraute sich einer Cousine an, die einen Besuch beim Frauenarzt vermittelte. Der stellte fest, daß keine Schwangerschaft vorlag, das Mädchen aber eindeutig defloriert war. Der Vater setzte seine Übergriffe fort. Gabi zog schließlich eine Schulfreundin ins Vertrauen: „Mein Papa hat mit mir geschlafen.“ Die Freundin, die mit dieser ungeheuerlichen Behauptung nicht klar kam, wandte sich an ihre Mutter, die sofort beim Jugendamt anrief. Der allgemeine Sozialdienst (ASD) beim Landkreis Verden sorgte dafür, daß das Mädchen umgehend in eine Pflegefamilie kam. Einige Wochen später, im November 1989, entschloß sich Gabi zur Anzeige gegen ihren Vater.

Wie die ZeugInnenvernehmungen zeigten, war das Familienleben stark von Alkohol und Brutalität geprägt. Die Mutter bezog häufig Prügel. Auch der Bruder wurde geschlagen. Gabi nie. Sie war nach K.'s Aussagen sein Lieblingskind. In der alltäglichen Misere zwischen Job und Alkohol liefen die Kinder nebenbei. „Spuren von familiärem Zusammenleben“ konnte Richter Wiehr auch nach ausführlicher Befragung beider Elternteile nicht ausfindig machen. Herr und Frau K. beschrieben sich selbst als „ganz normale Familie“, die Beziehung zwischen K. und seiner Tochter sei immer eine „ganz normale Vater-Tochter-Beziehung“ gewesen. Auf Wiehrs Frage, wie K. sich denn die Anzeige erkläre: „Sie wollte, daß meine Frau sich von mir scheiden läßt. Bei der kam sie immer mit allem durch. Ich war ihr wohl zu streng.“ An diesem Strang zog auch die Verteidigung: Um die Scheidung der Eltern zu erwirken, habe das Mädchen sich alles nur ausgedacht.

„Gabi hat schon immer mal gelogen“, fällt die Mutter dem Kind, das abgöttisch an ihr hängt, in den Rücken. Seit der Anzeige hat Frau K. jeden Kontakt zur Tochter abgebrochen. Keine Karte zu Weihnachten, kein Gruß zum 16. Geburtstag, einen Tag vor Prozeßbeginn. Sie war nicht bereit, sich von ihrem Mann zu trennen, sondern hat sich entschieden auf die Seite des Gewalttäters gestellt. Abgestumpftheit? Angst vor noch mehr Prügel oder vorm Einsturz des mühsam gewahrten äußeren Rahmens ihrer trostlosen Existenz? Nur ihre unruhigen Hände zeigen Anteilnahme. Als Gabi während ihrer Vernehmung nicht mehr kann und auf den Flur geht, kommt sie direkt an der Mutter vorbei. Die hat keinen Blick für sie. Weinend bricht das Mädchen in den Armen der Pflegemutter zusammen.

Auf den Zuschauerbänken und während der Pausen auf dem Flur zwei Lager: die Phalanx des Familienclans mit stämmigen, dauergewellten Frauen und kichernden Cousinen nimmt K. in ihre Mitte, formiert sich gegen Gabi, die schützend von ihrer Pflegefamilie umringt wird. „Die Familie“ läßt ihr Nest nicht beschmutzen. Gut, er hat getrunken, er hat geschlagen, vielleicht hat er sie auch wirklich mal angefaßt, so genau wollte das keiner wissen, denn wie sagte die eine Cousine bei ihrer Vernehmung: „Wir haben schließlich alle unsere eigenen Probleme.“

Gabi habe durch die sexuellen Übergriffe des Vaters nicht nur eine enorme Entwürdigung und Verletzung erlebt, sondern auch einen nahezu totalen Beziehungsverlust, betont ihre Anwältin und Nebenklägerin Anette Schulte: „Sie hat alles verloren als Folge der Tat des Vaters.“

Annemarie Struß-von Poellnitz