VOLK OHNE ÖL! VONMATHIASBRÖCKERS
Den Friedensnobelpreis der vergangenen Woche hat sich zweifellos das Bonner Amtsgericht verdient: die Beschlagnahme eines alten Flugblatts der Grünen hat einem Aufruf zur Fahnenflucht, der ansonsten untergegangen wäre, zu landesweiter Publizität verholfen. Das ist gut so, auch wenn man über Sinn und Zweck von solch moralischen Appellen durchaus geteilter Meinung sein kann. Schon 1939ff. haben sie wenig gefruchtet, und heute sieht es nicht sehr viel besser aus; selbst wenn sich unter den Bundeswehr-Söhnen ein paar mehr Couragierte finden als damals, die Masse wird sich, wie die Wehrmachts-Väter, in rasende Mitläufer verwandeln. Um, wie es derzeit so schön heißt, ihrer „internationalen Verantwortung“ nachzukommen. Das klingt zwar etwas besser als „nationale Verantwortung“, ist es aber nicht, es sei denn, man betrachtet Ethik als den Hammelsprung der berühmten 5Millionen Fliegen. So wie die Bundesregierung, die mit einem kleinen Dreh am Grundgesetz dafür sorgen will, daß sich die Täter hinterher auf „Befehlsnotstand“ berufen können. Und jeder Deserteur geächtet und bestraft werden kann, der heute, zöge die Bundeswehr ohne vorherige Verfassungsmanipulation gegen Irak, als Verteidiger des Rechtsstaats öffentlich geehrt werden müßte.
Ähnlich wie es den Nazis gelang, ihre fixe Idee vom „Volk ohne Raum“ derart in die Köpfe zu transplantieren, daß die Deutschen wie ein Mann losmarschierten, ihn zu erobern, setzt auch die Mobilmachung der Industrienationen auf die Treibkraft der Angst: „Volk ohne Öl“ ist die Horrorphantasie, die die westliche Welt zum Golfkrieg treibt. Und so wenig, wie es Hitler- Deutschland klar zu machen war, daß es auch ohne Maas und Memel gehen muß, so wenig sind die Bushs, Thatchers und Kohls zu überzeugen, daß das Ende des Bleifuß-Jahrhunderts erreicht, die Zeit des unbeschwerten Verheizens billiger Rohstoffe vorüber ist. Da kann das Treibhausthermometer noch so klettern — sie wollen es noch einmal wissen.
Allen voran die USA, die sich am Ende ihres Zeitalters, dieser Fließband-Orgie der CO2- Emissionen, die nicht umsonst mit zwei Namen, Rockefeller (Öl) und Ford (Auto) identifiziert ist, am Bohrloch der Welt noch einmal aufbäumen — nicht um Freiheit und Menschrechte des modernen Feudalstaats Kuwait zu verteidigen (dazu wäre in Südafrika und überall auf der Welt in der Vergangenheit ja permanent Gelegenheit gewesen), sondern in erster Linie, um sich den finalen Schluck der fossilen Energie zu sichern.
Wie es passierte, daß die größten Tiere der Erde, die Dinosaurier, von der Bildfläche verschwanden, wissen wir heute nicht genau — und doch ähnelt dieser Kampf ums Öl ihrem Untergang. Als sich die letzten Super-Echsen zu den knapp werdenden Ressourcen schleppten, um die Quellen ein erbitterter Kampf entbrannte und die stärksten noch ein Viertelstündchen länger lebten als der Rest ihrer Spezies — das dürfte ähnlich ausgesehen haben wie das Szenario des aktuellen Ölkriegs. Es sind die gigantischen Industrie-Saurier und Energie-Echsen, die in der Golf-Region mit den Hufen scharren, Wesen, die ohne 1 Million Faß Öl pro Tag nicht überleben können. Daß ihre Zeit gekommen ist, haben sie noch nicht gemerkt, daß ihre Ernährungsgewohnheiten umgestellt werden müssen, um zu überleben, dies zu realisieren sind die kleinen Saurierhirne nicht in der Lage. Und wenn, dann fällt es ihnen schwer, diese riesigen (Heiz-)Körper umzufunktionieren, sich zu verwandeln, anzupassen an die veränderten Klimabedingungen.
Sie halten sich immer noch für die mächtigsten Tiere des Universums — und stecken am Golf bis zum Hals in der Evolutionsfalle. Nuklear-, Chemie- und Bio-Waffen — das gesamte Destruktions-Potential der Saurier-Technologie — sind einsatzbereit versammelt, aber selbst wenn der Verstand reicht, sie nicht einzusetzen und einen friedlichen Kompromiß zu finden — und jeder, der den Waffengang in diesem Steinzeitkrieg verweigert, trägt zu dieser Intelligenzsteigerung bei — selbst dann wird die Falle zuschnappen. Von einem Ausweg kann erst die Rede sein, wenn „Volk ohne Öl“ nicht mehr als Pawlowsches Paniksignal, sondern als planetarischer Adelstitel fungiert
