Etwas Furnierholz

Pierre Audis Monteverdi-Inszenierung in Amsterdam  ■ Frieder Reininghaus

Melanto, die Kammerdienerin, drückt mit spitzem Knie den Freier Eurymachos an die Felswand. Sie will, über Liebesqualen rezitierend, jetzt nicht mehr von ihm lassen — von diesem Schwerenöter, der die Belagerung der Penelope abgebrochen, die Absichten auf die Krone Ithakas aufgegeben und sich dem frischen Fleisch zugewandt hat. Und weil, während sie ihn so umfängt, in Eurymachos die Lust wieder steigt, o bella Melanto, dreht er sie rasch um und spricht ihr in der Vertikalen zu.

Pierre Audi, künstlerischer Direktor von „De nederlandse Opera“ in Amsterdam, hat nun erstmals an seinem Haus inszeniert und die Handlung sehr klar und deutlich in Bewegung gebracht, korrespondierend mit der Klarheit und deutlichen Gliederung der Monteverdischen Musik.

Das Ambiente allerdings, das Michael Simon für diese für die Rückkehr des Odysseus aus dem Trojanischen Krieg und von seiner Irrfahrt geschaffen hat, erinnert in nichts an einen Königshof zur Zeit Homers oder an den barocken Kulissenzauber der Monteverdi-Zeit. Eine Metallgitterbrücke, ein stattlicher Brocken Granit-Imitat, etwas Furnierholz (Schiffsplanken andeutend), ein paar Stangen — das ist die Ausstattung für das Spiel, das mit dem Prolog der Menschlichen Zerbrechlichkeit oder der Zerbrechlichen Menschlichkeit beginnt. Im Wechsel mit drei anderen allegorischen Figuren: Il tempo, Fortuna und L'amore — ein wahrhaft wunderlicher Auftakt nach sparsamen Vorspiel-Takten.

Und dann wartet Penelope. Da steht sie auf dem Bretter-Dreieck, das über den Orchestergraben bis zu den ersten Zuschauerreihen ragt, wartet mit ihrer in zehn Jahren immer dünner gewordenen, aber nie versiegten Hoffnung auf die Rückkehr des Ehemanns und Königs. Die monodische Klage — wie später den homophonen Jubel — stattet Graciela Araya mit überragender, charakteristischer Mezzostimme aus. (Sie ist den Westberliner Operngängern durch ihre Mitwirkung in der Neuenfels'schen Rigoletto-Inszenierung, beim Cornet Rilke und in der Titelrolle von Grauns Montezuma bekannt.) Das ewige Problem der Frauen: Warten auf die Männer. Signora Araya wartet vorzüglich.

Im Orchestergraben wirkt Glen Wilson. Um ihn geschart zehn weitere Barock-Spezialisten, je zwei mit Lauten, Blockflöten, Barock-Violinen, Violen und je einer mit Cello und Kontrabaß bewaffnet. Sie halten sich streng an das venezianische Manuskript von 1641: Das, was in ihm an Noten zu finden ist, erklingt — und nur das (mit den nach dem selbstverständlichen Handwerksbrauch der Zeit erfolgenden Continuo-Zutaten). Recitative und Arien werden stets „secco“ begleitet, also bloß von den Instrumenten der Continuo- Gruppe; die Geigen, Bratschen und Flöten beschränken sich auf das Auszieren der Zwischenspiele.

Nicht auszuschließen, daß Monteverdi Il ritorno d'Ulisse in patria einst tatsächlich in dieser Form konzipierte. In einem erheblich kleineren Saal und vor 350 Jahren. Wir hören freilich anders und besitzen ja auch die Augen der späten Renaissancezeit nicht mehr. So klafft eine unüberbrückbare Distanz zwischen der Abstraktion und Modernität des Bühnenbildes zu dem gestreng historistisch intendierten Ton, dem kleinen Gezirpe da unten vor den vielen Zuschauerreihen in „Het Muziektheater“.

Mitte der achtziger Jahre arrangierte Hans Werner Henze, durchaus im Bewußtsein des eigentümlichen Reizes der kargen Monteverdi-Vorlage, diesen Ulisse für das groß besetzte moderne Orchester, das sich freilich fast durchgehend sehr zurückhalten muß. In Salzburg und Köln weckte Henzes edles Kunsthandwerk die Aufmerksamkeit und brachte das andere Dilemma ins Bewußtsein, das aller Bearbeitungen: Zwischen der Skylla der Entstellung zur Unkenntlichkeit und der Charybdis der nicht hinreichend entschiedenen Loslösung von der Vorlage hindurchzusteuern.

Wie man es also auch macht, es wird dieser Ulisse wohl keine Produktion, die bei uns mehr als distanziertes Interesse erwecken könnte. Pierre Audi und das insgesamt hochkarätige Sängerensemble haben die Sache gut gemacht, gar die komischen Momente in der Konfrontation des noch unerkannten Spätheimkehrers mit dem Hirten Eumetes hervorgelockt; bloß erhabenen Ernst wollte diese frühe Oper also doch nicht offerieren. Aber sie vermag eben aus der alten Haut nicht herauszukommen und bleibt ein ferngerücktes Stück.