Bewegungswütige Zwischenmenschen

■ Uraufführung von Eugen Ruges "Vom Umtausch ausgeschlossen"

Begegnung im Supermarkt: Er will Makkaroni kaufen, sie Spaghetti. Sie kennen sich von früher, beide wollen einander begegnen und unterdrücken doch jede Äußerung. Das Resultat der gestörten Kommunikation: Sie kauft aus Versehen eine Buttermilchflasche, er rutscht auf einer Makkaroni aus, stößt das Regal um und wird unter einem Berg von Eierteigwaren begraben.

Dieser Slapstick aus der Psychopathologie des Alltagslebens ist die Ausgangssituation von Eugen Ruges Zwei-Personen-Dramolett Vom Umtausch ausgeschlossen. Was folgt, ist therapeutisches Rollenspiel: Was wäre, wenn sie sich in einer griechischen Kneipe getroffen hätten statt im Supermarkt? Das Ergebnis des Experiments ist negativ. Sie verstrickt sich in Probleme mit der Gleichzeitigkeit von Sinneswahrnehmungen, er spürt einem ungefähren Gefühl in seiner Magengegend nach. Eine Begegnung findet nicht statt.

Nun schaltet sich die Umwelt ein, mit Telefonterror. Ehefrau und Chef erkundigen sich hartnäckig nach dem Verbleib der beiden Begegnungswütigen. Der Mann zerstört schließlich das Telefon, aller Umweltkontakt wird unterbunden. Grimmig konzentriert sich das Paar auf seine zwischenmenschliche Begegnung.

Der nächste Versuch im Beziehungslaboratorium bedient sich der Erinnerung, scheitert aber ebenso. Trotz heftigster Assoziationsarbeit gelingt es ihm nicht, sich daran zu erinnern, wie er sie einst zum ersten Mal geküßt hat. Zurück bleiben zwei isolierte einzelne, fragmentiert in Einzelwahrnehmungen, ohne Wirklichkeitskontakt.

Das amüsante Werkchen ist eine Etüde, eine Studie über den Zusammenhang von Selbstbeobachtung, Wirklichkeitsverlust und Identitätsdiffusion, geschrieben in einer lapidaren Protokollsprache von kontrollierter Banalität. Dialoge gibt es eigentlich gar nicht, nur Beschreibungsversuche („Man müßte versuchen, etwas Bestimmtes zu sagen, zum Beispiel seine Gefühle.“). Garniert ist das Ganze mit polemischen Spitzen gegen die Konsumgesellschaft („Ich bin ein freier Mensch. Ich kaufe.“) und philosophischen Kalauern („Woran glaubst du denn, an Gymnastik gegen das Nichts?“). Darin zeigt sich wohl auch noch der fremde Blick des Neulings in der westlichen Warenwelt. Der 36jährige, in Rußland geborene und in der DDR aufgewachsene Eugen Ruge ist erst im Frühjahr 1989, kurz vor der Wende, in die BRD gekommen.

Das Ich ist nur ein Bündel von Perzeptionen, ein Theater auf- und abtretender Sinneseindrücke. Und die personale Identität löst sich auf, wenn die gegenständliche Wirklichkeit auf käufliche Waren reduziert ist. Das wären wohl die Thesen des Stückes, wenn man es ernst nehmen müßte. Glücklicherweise kommt es aber eher als Kabarett mit Kunstanspruch daher, als Sprachspiel, das auch vor groben Effekten nicht zurückschreckt (Frau: „Es ist nichts leichter zu kriegen als Schwänze. Das einzige Problem daran ist, daß immer ein Mann daran hängt, an dem Schwanz, und bildet sich ein, der Schwanz hängt an ihm.“). BeckettsSpiel und Martin Walsers Zimmerschlacht grüßen als Vorbilder, aber Ruges lakonische Minimalsprache ist Eigenbau.

Die Uraufführung auf der Werkstattbühne des Bonner Schauspiels spielt das Stück nicht hoch, sondern hält es auf dem Niveau einer identitätsphilosophischen Boulevardklamotte. Nach Differenzen zwischen Hauptdarsteller und Regisseur traf Intendant Peter Eschberg die salomonische Entscheidung, beide aus der Produktion herauszunehmen, und so mußte Ersatzregisseur Anselm Weber zwei Wochen vor der Premiere mit einem Ersatz-„Mann“ einspringen. Das Resultat dieser Produktionshektik ist eine Inszenierung von treffender Schlichtheit und mit spielfreudigem Tempo. Die Bühne (Bühnenbild: Raimund Bauer) ist ein blaßblauer Spielraum mit Tisch und zwei Stühlen, mehr nicht. In ihm exekutiert Ingrid Schaller als „Frau“ präzise und kühl ihren Text, während Alfons Lipp als „Mann“ den nervösen, magenkranken Hektiker ins Groteske überdreht. So wird der Tiefsinn des Stückes eingeebnet, und seine hohen Ambitionen werden flachgeklopft, aber das Resultat ist ein kurzweiliger Abend, der Zwerchfell und Kopf in Bewegung hält. Gerhard Preußer

Vom Umtausch ausgeschlossen von Eugen Ruge im Schauspiel Bonn (Werkstattbühne). Regie: Piet Drescher/Anselm Weber, Bühne: Raimund Bauer, mit Alfons Lipp und Ingrid Schaller.

Weitere Vorstellungen am 22., 24., 25., 27. und 30.11.