Großdeutsches Wohlstandselend

■ „Die Einheitser“ und ein „Reichspolterabend" zweimal Kabarett zur aktuellen Lage der Nation

Die naturgemäß etwas heikle Frage ließ nicht leicht sich beantworten: Was tun an jenem Freitagabend, dem ersten Feiertag des neunten November gegen 21 Uhr, wenn denn die Einheitser des Heinrich Pachl in der Kölner Schauspiel-Schlosserei soo pünktlich schon am Ende sind mit ihrem schaurig-schrillen Spektakel zum Deutschland einigst Vaterland? Eine Lösung für danach: etwas mehr Sekt als gewöhnlich.

„Freie Bahn dem Tüchtigen“ heißt das zynische Motto an die Adresse der Ex-Zonis auch auf dieser rasanten Welcome-Party, paßt euch an, gefälligst, seid froh, wenn wir eure DDR (Dumping, Dividende, Rendite), das Abschreibe-Objekt euch noch abkaufen. Werdet „zutraulich“, lautet der Appell bei diesem inszenierten Einladungs-Ritual; wie blöde, junge Hunde, laßt euch motivieren zur Selbstbeherrschung ...

So führt Pachls Stammtisch-Oratorium vor, was passiert, wenn die lukrative Vereinnahmung ihren höchst kapitalistischen Gang geht. Die kalte Conférence des auf Expansion drängenden Westmanagements glänzte, auf der Bühne wie im Leben, perfekt und gnadenlos deutsch. Marktschreierisch, im grellen Ton hyperamüsierter Animateure wird ein ganzes Restvolk von „Modernisierungsverlierern“ vorgeführt, ungerührt, leicht angeekelt allerdings.

Im Glitzer-Gala muntert so das West-Entertainer-Pärchen samt Wirtschaftsberatern und einer tollen Karikatur der unermüdlichen Demoskopie-Lady Noelle-Neumann die ehemaligen DDRler zu moderater Unterwürfigkeit auf, möglichst flächendeckend. Man wittert neues Terrain und hofft auch weiterhin, sich solcher probaten Deformation bedienen zu können. Im manischen Tempo läuft der Wortwechsel zwischen den Darstellern routinierter Geldmacher. Im Kontrast dazu kommen die bisher und weiterhin verarschten Zonis nur langsam nach - zwei Welten knallen schaurig aufeinander.

Nicht ausgelassen wird bei den Einheitsern auch die klägliche Larmoyanz der „verdienten Genossen“ Krenz und Co. Doch selbst die läßt sich beinah mühelos ins kalkulierte Handeln und Wandeln von Kohl und Konsorten integrieren. Bärbel Bohley dagegen kam, sah und siegte nicht; auch bei den Einheitsern gerät ihr idealistisches Bekümmertsein ins Abseits medienwirksamer KdF- Rhetorik.

Trotz aller pointierten Dialoge allerdings — und gerade auf dieser Folie — taten manche Kalauer dann doch weh im Ohr, wie „von der Blockflöte zur Arschgeige“, „vom Flüchtling zum Jogging“ , na ja und ein paar mehr.

Auch das Klischee vom tumb enttäuschten Öko-Müsli-Alternaivling, der mit dem obligaten Strickpullover, wärmte womöglich das wissend davongekommene Herz. Man befürchtete schon, den abgelagerten Schweißgeruch irgendwann zugeweht zu bekommen. Ansonsten jedoch: ein sehenswertes Szenario über die aktuellen Feindseligkeiten des zweiten Wirtschaftswunders sowie die Aussichten auf weitere deutsche Rekorde.

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Fünf sozusagen gestandene Männer - die Kabarettisten Achim Konejung, Horst Schroth, Matthias Beltz, Arnulf Rating und wiederum Heinrich Pachl - haben sich zum Reichspolterabend als geschichtsträchtige Komik-Gang zusammengetan und treiben ihr konspiratives Unwesen einen Monat vor der Schicksalswahl noch in zahlreichen Städten.

„Lasset uns betteln: Aufschwung unser, der du winkst aus dem Westen, Eigentum sei dein Name, dein Reibach komme in Hypotheken, Wechseln, Aktien und Effekten, unser täglich Bargeld gib uns heute und verzinse uns unsere Schulden ...“

Dergestalt auf die aktuell wabernden niederen Instinke im neuen Deutschland sich stürzend, ziehen die Fünf in gut zwei Stunden am grotesk laufenden Band ihre Nummern- Revue ab, lärmend und schadenfroh wie immer. Das „neue Haßobjekt“, die Ostdeutschen, sie stehen auch hier im Mittelpunkt. Beispielsweise wenn die unerwünschte Verwandtschaft plötzlich auf der Matte steht und beharrlich Einlaß wünscht ins Konsumwunderland. Das kennen wir zwar alles schon, aber trotzdem: die ganze Verlogenheit der ehemals Päckchen Packenden als herablassende Ablaß-Aktion, das nunmehr sich ernsthaft Bedrohtfühlen durch solch „nahen Osten“, diese widersprüchliche Stimmungslage der Nation wird ja weiterhin für Verstörung sorgen, auf beiden Seiten.

Gelungen war auch die Nummer der geschäftstüchtigen Herren im Flieger nach Leipzig. Angetan mit Schlabberlätzchen, von der hilfreichen Stewardess (aberwitzig der Tornado Arnulf Rating) mit Babybrei-Gläschen versorgt — Regression at it's best — unterhalten sich diese zynischen Unternehmer — Typen über ihre eiskalt durchgezogenen Erfolge in der Ex-DDR. Sie machen ein Ratespiel: Wer am wenigsten Personal übernehmen müsse; der Gewinner schließlich verkündet stolz: „Und mein Rekord, ich hab nur noch den Pförtner übernommen, und das ist ein Vietnamese.“ Die Kollegen schütten sich aus vor Lachen, und wir Zuschauer dürfen erkennen: Solche Indolenz erst bringt wahre Fortune im Geschäftsleben.

Neben dem Bundeswehrsoldaten als Biotop-Schützer, dem notorischen Toscana-Emigranten, der extrem neidisch reagiert auch auf bei uns manchmal sonnige Witterungsbedingungen, verzweifelt komisch rumstänkert, und anderen uns eben nicht vertrauten Comic-Figuren des alternativen Rest-Sektors fallen naturgemäß auch einige nicht unwitzige Anmerkungen zum „Mega-Pfälzer“, der eben trotz dieses beträchtlich vergnüglichen Aufwandes linker Rhetorik (übrigens „geschmiert von den Grünen“) uns alle in noch bessere Welten zu führen imstande sein dürfte, leider. Marianne Bäumler

Die Einheitser von und mit Heinrich Pachl. Schauspielhaus- Schlosserei Köln. Nächste Aufführungen: 23.,26.,28.,30.11. und 7.,9.,18.,25.12.

Reichspolterabend von und mit Horst Schroth, Heinrich Pachl, Matthias Beltz, Achim Konejung, Arnulf Rating. 18.11. Freiburg, 20.11. Stuttgart, 22.11. Leipzig, 23.11. Halle, 25.11. Frankfurt, 27.11. Köln, 29.11. Bielefeld, 30.11. Hannover