Vorsicht! Falle!

■ Jürgen Fuchs über den Häuserkampf in Berlin KURZESSAY

Als ich in der Nacht vom 12. zum 13.November in der Gabelsberger Straße ankam — die Mainzer ist nicht weit — und die schwarz gekleideten Straßenkämpfer auf den Dächern sah, wußte ich, welches Kapitel begonnen hatte. Die Uniformierten mit den Schilden und Helmen sah ich auch, die Wasserwerfer. In der Frankfurter Allee viel Licht, auch Leuchtkugeln und Geräusche, Schüsse, Tränengas. Dazwischen Trabis und neue Westwagen, aus den Fenstern sahen Mieter, junge Leute sprangen rum, einige alte Frauen verließen ein Haus, wollten vielleicht flüchten, seltsam hüpfend, mit Stock und Kopftüchern in diesem Theater. Vor der Tür der Freunde Barrikaden. Sie hatten Angst, daß etwas geflogen kommt und die Scheiben zerbricht, die nicht aus Panzerglas sind, brennen könnte manches, Gardinen und die Bücher in den Regalen, der Kleine noch im Gitterbett, der Größere hinter der Gardine. Da fliegen auch Steine.

Wo ist die zivile Gesellschaft, die wir im letzten Herbst wollten?

Zwei, drei junge Männer reißen das Kleinpflaster des Gehweges auf, handeln schnell, sammeln Wurfgeschosse, legen sie auf eine Plane, wollen sie wohl wegtragen. Die Häuser sind hoch, etwas geworfen von weit oben, Eigengewicht plus Materialbeschaffenheit plus Erdanziehung, Schädeldecken müssen nicht halten mit und ohne Helm. Es ist eine Wohngegend. Jemand könnte auch mal aus der Haustüre kommen. Wo ist denn die „zivile Gesellschaft“, die wir wollten im letzten Herbst? Sie ist abwesend.

Einverstanden, die grünen gepanzerten Fahrzeuge hätten nicht kommen müssen, leerstehende Wohnungen sollen bewohnt sein von denen, die ein Dach brauchen (dabei die alten Frauen nicht vergessen!). Sprechen, verhandeln, auf Bärbel hören und Bischof Forck. Aber was sind das für sportliche, schwarz gekleidete Männer auf den Dächern? Und wer gräbt so zielgerichtet die Straße um? Woher kommen die Leuchtpistolen, die „Mollis“, woher kommt dieser elastische Gang, der „Anti- Bullen-Ton“ aus dem Megaphon?

Wir waren schon mal weiter

Wir waren schon mal weiter. Da ging eine Macht in die Knie, die auch so rumfuchtelte. Und warum wurde sie gekippt? Weil sich fast keiner provozieren ließ von ihr. Weil Hunderttausende ihre Angst überwanden, denn Angst macht fickrig und aggressiv. Weil sie die Waffenkammern hatten, nicht wir. Weil sie Täter waren, nicht wir. Jetzt kommen einige Wessis und wollen uns mal was zeigen. Herr Kohl als Bundeskanzler, die Militanten als Straßenkämpfer: Mal die liberalen Ostscheißer aufmischen. Mal zeigen, was wirklich Fakt ist. Mal entlarven, was sich Demokratie nennt. Bullenallmacht — das ist Deutschland. Und jetzt 'ne Inigruppe gründen, die Promis nach vorn, Minimalkonsens her, wer über Gewalt diskutiert, spaltet den Widerstand. — Nein, das ist alles bekannt und ausgelutscht, so kriegen wir höchstens wieder Herrn Lummer oder Diestel und neue Kontaktsperren. Das ist Durchdrehen, läppisches pseudolinkes Wildwest/Wildost-Getue. Dann doch lieber nur Gewaltvideos ansehen und zu Mami zurückkehren in den Westerwald. Ich weiß, daß Schläge wehtun, ich weiß, was Knast heißt. Und weil ich das weiß: so nicht. Entweder die Bewaffnung weg und gewaltfrei (das heißt mühsam und auf längeren Wegen) erkämpfen, was vorenthalten wird an sozialer Gerechtigkeit. Oder es kommt der neue alte Weg in den Terror. Und da kann ich nur anmerken: Die RAF wollte auch mal alle befreien, Antifa und so weiter. Zuletzt fand man sich wieder als Mörder und merkwürdiger „Genosse“, von fixen Stasi-Typen gelenkt, „Berichte“ wurden gar geschrieben über die Kollegen im DDR-Betrieb. Hochfahrender Anfang, blutige Praxis, mickriges Ende.

Die Bürgerrechtler nach vorn

Nicht noch mal bitte. Das Neue Forum muß wieder mal aufpassen und zeigen, wo's langgeht, möglichst unpädagogisch und direkt, denn die Mainzer Straße liegt im Osten, nicht im Karnevalsgebiet anderer deutscher Provinzen. Die Bürgerrechtler nach vorn, schnelle Klärung ist dringend nötig. Allerdings gibt es erschwerte Bedingungen: Welche turnen auf Dächern rum, spielen mit Menschenleben und wissen alles besser. Das Herrschaftsgetue der politischen Chefetagen steckt an. Jürgen Fuchs

Der Autor ist Schriftsteller, 1977 aus der DDR ausgebürgert. Er lebt in Berlin.