Paragraph 129a: "Hier droht Gesinnungsjustiz"

■ Berliner Justizsenatorin für die Abschaffung der Paragraphen 129 und 129a/ Bundesanwalt dagegen

Berlin (taz) — Wenn Generalbundesanwalt Alexander von Stahl beteuert, mit den Paragraphen 129 (Kriminelle Vereinigung) und 129a (Terroristische Vereinigung) „gut leben“ zu können, verwundert dies niemanden. Daß sich seine Juristenkollegin, die Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD), aber dezidiert für die Abschaffung der beiden Paragraphen einsetzt, ist schon weniger bekannt. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion über Sinn oder Unsinn der beiden Staatsschutzparagraphen trafen am Wochenende in Berlin der Generalbundesanwalt und die Justizsenatorin erneut aufeinander.

Rechtsanwalt Mathias Zieger, seit Jahren in 129a-Verfahren als Verteidiger tätig, zählte zu Beginn der Veranstaltung das Sündenregister beider „Anti-Terrorismus-Gesetze“ auf. Die Paragraphen 129 und 129a, so sein Urteil, „sind nicht nur ein Fremdkörper für den Rechtsstaat, sondern eine Gefahr für ihn“. Wo sonst bei Gericht konkrete Straftaten verfolgt würden, „werden in den Vorschriften Verhaltensweisen unter hohe Strafandrohung gestellt, die soweit von eigentlichen Straftaten und strafbaren Handlungen entfernt sind, die so unbestimmt formuliert sind und so subjektiv ausgelegt werden können, daß hier eine Gesinnungsjustiz droht“. Bei den 4.380 Ermittlungsverfahren zwischen 1980 und 1988 sei in 80 Prozent nur wegen „Unterstützung“ oder „Werbung“ ermittelt worden. Und während bei „normalen“ Verfahren in über 40 Prozent die Ermittlungen zu Verurteilungen führen, liege die Quote bei Verfahren nach §129 oder §129a unter vier Prozent.

Gegen das „Schlagwort Gesinnungsjustiz“ verwahrte sich von Stahl entschieden. Nicht sonderlich überzeugend rechtfertigte er sein Festhalten an den strittigen Vorschriften mit der „konspirativen Organisation“ der zu verfolgenden Gruppen, wie etwa RAF, der IRA oder PKK. Den von ihnen arbeitsteilig und „auf hohem technischen Niveau“ geplanten Verbrechen müßte bereits „im Vorbereitungsstadium“ begegnet werden. Der Ansicht der Berliner AL-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast — daß sich Terrorismus und organisierte Kriminalität durchaus ohne Sondergesetze strafrechtlich verfolgen ließen —, hielt von Stahl entgegen: „Das ist halt die Frage, ob man Schwerstkriminalität effektiv bekämpfen will oder nicht.“ Künast hatte anhand von BKA-Expertenaussagen moniert, die beiden Paragraphen kämen zumeist immer dann zum Zuge, wenn die Behörden ohne Schwierigkeiten an richterliche Genehmigungen zum Telefonabhören oder zu Hausdurchsuchungen kommen wollten.

Die selbe Ansicht vertrat auch Justizsenatorin Limbach. Für die Sozialdemokratin ist der §129a nicht mehr als ein „Ausforschungsparagraph“, den die rot-grüne Regierungskoalition in Berlin gerne über eine Bundesratsinitiative abgeschafft hätte. Mit nur ein oder zwei Ausnahmen hätten aber ihre KollegInnen aus den SPD-Ländern abgewunken. Dasselbe erlitt auch ein Amnestievorschlag Limbachs. Sie hatte im Juli vorgeschlagen, diejenigen zu begnadigen, die wegen „Werbens“ nach §129a verurteilt wurden. Ihr sei aber bedeutet worden, daß das als Zugeständnis an den Terrorismus begriffen werde. Wolfgang Gast