Erstes evangelisches Bischofskreuz auf einer Frauenbrust?

Morgen entscheiden die ParlamentarierInnen der Nordelbischen Kirche, ob die Pastorin Rut Rohrandt als erste evangelische Bischöfin in die Annalen der Kirchengeschichte eingehen wird/ Die Kandidatin, zur Zeit kirchliche Frauenbeauftragte, setzt sich offen für die Fristenlösung ein PORTRAIT  ■ Von Uwe Birnstein

Der Marsch durch die Institutionen war lang und hart, das Ziel scheint greifbar nah: Rut Rohrandt, 47jährige Theologin, kandidiert für das höchste geistliche Amt, das die evangelische Kirche kennt. Schenken ihr die ParlamentarierInnen der Nordelbischen Kirche morgen Vertrauen und Stimme, würde sie als erste evangelische Bischöfin in die Annalen der Kirchengeschichte eingehen.

Allein schon die Tatsache ihrer Kandidatur stellt die innerkirchliche Geschlechterordnung auf den Kopf und stürzt nicht nur norddeutsche Kirchenpatriarchen in Identitätskrisen. Zwar schweigen Frauen schon lange nicht mehr in den Gemeinden, doch ist von der biblisch beschworenen Gleichheit von Mann und Frau in wichtigen Ämtern keine Rede. Noch immer sitzen Männer auf den Thronen der Kirchenämter, noch immer tragen Männer das schwere Bischofskreuz auf ihrer stolzen Brust.

Die Statistik ergibt das Bild einer Pyramide: In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) stellen die Frauen 70 Prozent aller hauptamtlichen MitarbeiterInnen, 30 Prozent der VikarInnen, 16 Prozent der KirchenparlamentarierInnen, 12 Prozent der PfarrerInnen und ein mickriges Prozent der höheren geistlichen WürdenträgerInnen. Vier Frauen erst haben es zur Pröbstin gebracht.

Dabei ist die Nordelbische Kirche (NEK) geradezu prädestiniert dazu, in Sachen Geschlechtergleichstellung die Vorreiterrolle zu übernehmen. Denn sie ist die einzige Landeskirche, die sich drei Bischofskanzleien leistet und damit problemlos die Bischofsquotierung einführen könnte. Außerdem gilt die 1977 gegründete NEK wegen ihrer an den Laien orientierten Verfassung als ungewöhnlich fortschrittlich und demokratisch. Der derzeitigen Kirchenleitung gehören immerhin fünf Frauen an, das entspricht — für kirchliche Kreise astronomischen — 33 Prozent.

Bischofskandidatin Rut Rohrandt hat die Geburtsstunde der Nordelbischen Kirche miterlebt. Seit zwanzig Jahren arbeitet sie als Pastorin, zwölf Jahre leitete sie das Frauenwerk der NEK, seit letztem Jahr ist sie als kirchliche Frauenbeauftragte in Kiel tätig. Als Teilnehmerin unzähliger Gremien, Ausschüsse und Synoden hat sie kirchenpolitische Taktierereien genauso kennen-, wie die basisdemokratische Struktur der NEK schätzengelernt. Erfahrungen, die sie gerade als Bischöfin gebrauchen könnte.

Das kirchenhistorische Novum besteht nicht allein darin, daß sich mit Rut Rohrandt eine Frau um das Würdenamt bewirbt. Mit ihrer Kandidatur besteht erstmalig die Chance, daß eine Person den nordelbischen Bischofssitz besteigt, die den Mut aufbringt, ihr eigenes Profil zu zeigen — und es nicht hinter konsensverklärter Maske meint verstecken zu müssen. So scheut sich Rohrandt nicht, weder aus Opportunismus noch aus Gründen mangelnder Qualifikation, mit ihrer Meinung hinter dem Berg zu halten. Daß sie den Hahn als Kirchenwahl-Symbol in den Stall zurückgeschickt hat, war im Laufe ihrer Karriere noch eine der leichteren Übungen. Im vergangenen September plädierte sie für die Aufnahme einer Fristenlösung in die künftige deutsche Verfassung. „Beratung darf nicht Voraussetzung für eine Abtreibung sein“, forderte sie, denn „es darf keinen Zwang geben“. Eilends zitierten die drei Bischöfe sie herbei — und veröffentlichten postwendend eine Stellungnahme, deren Zitatenbrei aus kirchenoffiziellen Stellungnahmen und Gesetzestexten sich gekonnt am Kern der Sache vorbeimogelt.

Die Kirchenleitung hingegen, frau sei's gedankt, mochte dieses Spiel nicht mitspielen. Sie forderte Gemeinden und Gruppen zum „konsensbildenden Prozeß“ zum Thema Abtreibung auf. Die Unterstützung, die Rut Rohrandt aufgrund ihrer umstrittenen Äußerungen erhielt, war überwältigend. „Wie gut, daß die Kirche so etwas vertritt“, bestärkten sie Briefe aus dem gesamten Bundesgebiet.

Auch die Reaktionen auf ihre Bischofskandidatur überraschen sie. Die Presse bejubelt ihre Kandidatur, Gespräche und viele Briefe unterstützen sie in ihrer Entscheidung. Allein die ewiggestrigen konservativen Evangelikalen wettern offen gegen die potentielle Bischöfin; schließlich vertrete sie offen die feministische Theologie und unterstütze die Herausgabe von Publikationen, in denen „maßgebliche biblische Aussagen“ als Ausdruck eines männlichen Sexualkomplexes dargestellt würden. Auch ist den selbsternannten Glaubenshütern ein Dorn im Auge, daß Rohrandt sich in der „Diskussion um die Tötung ungeborener Kinder“ für Straffreiheit einsetzt. Ein anonymer Brief an die Kirchenleitung nennt sie gar „Mörderin“ und fordert: „Weg mit dieser Pastorin!“

Solche Kritik ficht die Kandidatin nicht an: „Verlieren kann ich gar nicht mehr. Allein die Tatsache, daß eine Fraue kandidiert, hat sowohl die Sache der Frauen als auch die Kirche einen riesigen Schritt nach vorne gebracht.“ Und den könnte auch ein Sieg ihres Gegenkandidaten, des Eckernförder Probstes Dr. Hans- Christian Knuth, nicht rückgängig machen.