Vier Variationen über das Thema Grün

■ Der ungesunde Hang der Partei zur Unvereinbarkeit

Bonn (taz) — „Eigentlich dachte ich, wir wären schon weiter“, wunderte sich der hessiche Realo Hubert Kleinert. Nicht nur er. Ein Zuhörer der zentralen Wahlveranstaltung der Grünen am Sonntag abend in der Aula des Bonner Beethoven- Gymnasiums jedenfalls fragte, wie die Grünen, bitteschön, bei solch' unterschiedlichen Vorstellungen zusammenarbeiten wollten.

Von Perspektiven und Bilanz, wie die Einladung verhieß, war jedenfalls wenig zu hören. Dafür bissen sich die vier Parteivertreter vor anfänglich gut 300 Zuhörern sofort an der Systemfrage fest. Diese sei ebenso passé wie der Gedanke, Politik aus einem geschlossenen Weltbild heraus zu machen, sagte Hubert Kleinert, der für die Forderung nach pragmatischer Politik viel Beifall erhielt. Die Hamburger Dritte- Welt-Aktivistin Gaby Gottwald hingegen meinte, selbst wer sich nur um Kinderspielplätze kümmere, lande zwangsläufig in der Systemopposition. Vorstandssprecherin Renate Damus betonte ebenfalls den Antikapitalismus als Ausgangspunkt grüner Politik, lehnte aber die Klassenkampfanalyse als veraltet ab. Aufbruch- Sprecher Ralf Fücks sah keinen Gegensatz zwischen Realpolitik und Systemopposition, bezog dies aber auf die weit über den Sozialismus hinausgehende ökologische Herausforderung — was ihm Kleinerts Vorwurf einbrachte, das rieche nach „Kirchenersatz“.

Die Diskussionsteilnehmer der Veranstaltung, die nach Intervention des Bundesvorstands einen eigentlich vom Bundeshauptausschuß der Partei beschlossenen Wahlkongreß ersetzen sollte, verrannten sich auch heillos in der eigentlich als geklärt angesehenen Koalitionsfrage und der Deutschlandpolitik. Souverän wurden die Versuche des Moderators ignoriert, die Debatte abzubiegen. Mancher fragte sich hinterher, woher der unbedingte Wille stamme, jeden Unterschied sogleich zu unüberbrückbaren Gegensätzen gerinnen zu lassen. Als Anheizerin betätigte sich vor allem Gaby Gottwald. Für sie ist immer noch der entscheidende Fehler, daß die Grünen die Zweistaatlichkeitsforderung aufgegeben haben. Eine Regierungsbeteiligung lehnte sie in jedem Falle ab.

Perspektiven blieben rar. Renate Damus befürchtet durch den Anschluß der DDR einen Bewußtseins-Rückschlag bei Fragen der Ökologie, Frauen und Ausländer. Kleinert ortete dagegen den Verlust an Initiativfähigkeit und praktischer Kompetenz. Der Abend belegte das. Gerd Nowakowski