■ NOCH 3329 TAGE BIS ZUM JAHR 2000
: Arbeiten, um zu sterben

In diesem Monat beginnt für viele kleine Japaner wieder der Kampf ums Dasein. Es geht darum, ob sie das Ausleseverfahren für die Aufnahme in Kindergärten und Grundschulen schaffen, die die besten Aussichten auf einen prestigeträchtigen Universitätsabschluß und damit auf eine Karriere bis ins Topmanagement der Industrie, der Finanzwelt und der Politik versprechen. Eine dieser Eliteschulen ist die einstmals kaiserliche Gakushuin-Universität. Sie verfügt, wie viele andere japanische Privat-Unis, über alle Schulstufen: Kindergarten, Grund-, Mittel- und Oberschule. Zwar gibt es beim Übergang zur jeweils nächsten Stufe Aufnahmeprüfungen, die auch anderen Kindern mit sehr guten Zeugnissen offenstehen, aber die Chancen werden mit zunehmendem Alter immer geringer. Am sichersten ist es, die Sprößlinge gleich durch die Aufnahmeprüfung für den Kindergarten oder spätestens für die Grundschule zu bringen. Das ist allerdings nicht so einfach. In diesem Jahr stehen 80 Erstkläßler-Plätzen 1.492 Bewerbungen gegenüber. Nicht einmal jedes 18. Kind wird aufgenommen, obwohl die Gebühren an solchen Eliteschulen phantastisch sind: Umgerechnet 1.000 Mark pro Monat sind im ersten Schuljahr keine Ausnahme, und mit zunehmendem Alter steigen die Kosten ins Phantastische. Der Aufmarsch der Eltern mit ihren Kindern ist sehenswert und für Nippons Fernsehteams und Fotografen ein Ereignis ersten Ranges. Papa im korrekten dunkelblauen Anzug, Mama im gedeckten Kostüm, dazwischen das hoffnungsvolle Söhnchen mit antrainiertem Lächelm im maßgeschneiderten Blazer, straffsitzenden kurzen Hosen, blütenweißen Socken und glänzenden, schwarzen Halbschuhen.

Wenn die kleinen Streber es dann geschafft haben, wenn sie alle Schulen erfolgreich durchlaufen und ihre Eltern sich dumm und dämlich bezahlt haben, geht die Rackerei erst richtig los — bis zum bitteren Ende. Frau Sachiko Ishi z.B. fordert von dem Arbeitgeber ihres Mannes eine Entschädigung, weil dieser sich, gerade 47 Jahre alt, zu Tode malocht hat. Ihr Mann habe innerhalb eines Jahres insgesamt 103 Tage auf Geschäftsreisen im Ausland verbracht. Er sei in zehn Monaten acht Mal für seine Firma Mitsui in die Sowjetunion gereist. Völlig überarbeitet sei er dann, während er mit sowjetischen Geschäftspartnern verhandelte, zusammengebrochen und gestorben. Das Unternehmen erklärte, es werde über die Forderung der Witwe nachdenken. Einen Nachfolger haben sie schon eingestellt. Karl Wegmann