Sucht ist nicht wie schlechtes Benehmen

■ Die ersten methadongestützten Drogenabhängigen sind ins Stromer Wohnprojekt eingezogen

Die Transparente gegen die Drogenabhängigen im Dorf sind mittlerweile aus Strom verschwunden. Daß letzte Woche vier Ex- Junkies ihre Zimmer im ehemaligen Bauernhaus in der Stromer Landstraße 18 bezogen haben, ist an den vorsorglich empörten NachbarInnen vorbeigegegangen. Um das ehemalige Bauernhaus tollt ausgelassen ein Hund: erstes Anzeichen für den Einzug der BewohnerInnen. „Wann geht es hier denn los?“ hatten, als die ersten Ex-Junkies schon vier Tage in dem Haus lebten, die NachbarInnen über den Gartenzaun Bernhard gefragt, den vertrauenswürdig aussehenden Mann im Rentenalter. Er ist in dem Projekt für methadongestützte (substituierte) Drogenabhängige Hausmeister, Betreuer und „Mädchen für alles“. Der zuvor eingeforderte Schutzzaun braucht nun auch nicht mehr 1,80 Meter, sondern nur noch „kniehoch“ und aus Maschendraht zu werden, berichtet Bernhard stolz, als ob für ihn damit Weg und Akzeptanz des Projektes schon vorgezeichnet sind.

In dem Niedersachsenhaus, weit ab von der Bremer Drogenszene, sollen auf den rund 350 Quadratmetern Wohnfläche 10 bis 12 „hochmotivierte Alt-Junkies“ (eventuell mit Kindern) einziehen, die über Methadon versuchen, „aus der Substitution und der Subkultur rauszukommen und einen Weg ins bürgerliche Leben zu finden“, so Viktor von Wilcken, der für den Verein 'Bremer Drogenhilfe' die „niedrigschwelligen“ Angebote koordiniert und, nach eigenen Angaben, das Konzept für das Stromer Wohnprojekt entwickelt hat.

Noch wird in dem Haus renoviert und umgebaut: Einige Zimmer sollen neue Zugänge erhalten, der ehemalige Stall zu einer Werkstatt werden — denn der Bauernhof ist auch Arbeitsplatz für die BewohnerInnen, die sich damit weiter stabilisieren und auf „normale“ Arbeitsverhältnisse vorbereiten wollen. Auf dem rund 3.000 Quadratmeter großen Grundstück soll außerdem (ökologischer) Gartenbau betrieben werden. Eine LandschaftsgärtnerIn wird bereits gesucht, erzählt von Wilcken.

An diesem Tag hat auch Heidrun, die Diplom-Psychologin zur psychosozialen Begleitung des Projektes, mit Kaffee und Kuchen ihren Antrittsbesuch in der Stromer Landstraße gemacht. Carola (die Namen der BewohnerInnen sind von der Redaktion geändert) ist gerade wütend nach Hause gekommen: Sie sieht ihre Methadoneinnnahme am Wochenende gefährdet. Von Wilcken beschwichtigt: „Mach' keinen Wind. Ich regle das für Dich.“ Doch wenig später sitzen die vier Substituierten, Hausmeister Bernhard, Psychologin Heidrun und von Wilcken, auf dem Sofa in der Diele zusammen. Denn Carolas Problem geht sie alle an: Am Wochenende fährt vor 14 Uhr kein Bus in die Stadt. Und das täglich verordnete Ersatzopiat Methadon muß genau alle 24 Stunden unter ärztlicher Aufsicht eingenommen werden. Am Wochenende heißt das: im Hauptgesundheitsamt (HGA) in der Horner Straße. Was tun? Ein Bewohner schlägt vor, mit seinem Auto zum HGA zu pendeln: „Dann müßt Ihr mir aber Spritgeld geben, denn ich hab' keinen Pfennig Geld.“ Theo hat, wie zwei andere der Gruppe auch, eine Langzeittherapie in Hohehorst hinter sich. Er setzt nach einem Rückfall jetzt auf die Ersatzdroge Methadon. Von Wilcken, der sie als langjähriger Mitarbeiter der Drogenhilfe e.V. zum Teil seit Jahren kennt, verspricht: „Es wird bald eine Lösung geben. Zur Not richten wir halt einen Fahrdienst ein.“

Er habe gar nicht gewußt, daß die Busverbindungen so schlecht sind. In der Woche fahren die Substituierten schon morgens um sechs Uhr los, um beim Arzt ihren „Schluck“ zu holen. Die Drogenhilfe will deshalb versuchen, die Methadonvergabe im Haus zu organisieren — zumal es in Strom keinen niedergelassenen Arzt gibt. Die Gesundheitsbehörde will — um Vermittlungshilfe gebeten — nun mit den Ärzten der Betroffenen eine Lösung suchen. Die Drogenhilfe stellt sich vor, nicht nur am Wochenende einen Arzt oder eine Arzthelferin mit Methadon ins Haus zu holen, um „Methadontourismus“ zu vermeiden (von Wilcken).

Die Ex-Junkies sind damit beschäftigt, sich in dem Haus wohnlich einzurichten. Viele Grünpflanzen sind mit ihnen zwischen der Echt-Holz-Einbauküche, Klavier und antikem Kachelofen eingezogen. Schränke fehlen noch: Die Hosen und Pullover sind in den Zimmern fein säuberlich aufeinandergestapelt. So aufgeräumt und ordentlich präsentiert von Wilcken seine Klientel gerne. Daß die Hausordnung, die außer Drogen auch Alkohol strikt verbietet, zusammen mit den BewohnerInnen entwickelt wurde, will er noch einmal ausdrücklich betonen. „Die Sucht kann man nicht ablegen wie ein schlechtes Benehmen“, sagt Ex-Junkie Gerd. Er will deshalb im Haus durch nichts in Versuchung gebracht werden. Und Katrin pflichtet ihm bei: „Ich bin hier hergekommen, weil mein Freund weiter Drogen nehmen will und ich das in der Wohnung nicht aushalten konnte.“ Wenn sie jetzt mal spritzengeil werde, dann hofft sie, daß die anderen im Haus ihr helfen, dieses Gefühl zu überwinden. zu. „Wenn hier irgend jemand was nehmen würde, würde das sofort zum reinsten Giftbunker“, meint sie und wendet sich wieder dem Spiel mit ihrem herumtollenden Hund „Bennie“ zu. Birgitt Rambalski