Von Werbestrategien und den Nebeln am Nabel des Nichts

■ Das neue Programm der Tanzfabrik in der Theatermanufaktur

Zwei Bahnen Tuch sind quer über die Bühne gespannt. Vier Menschen kauern vor, hinter, zwischen ihnen am Boden und warten, daß die Musik beginnt. Mit den ersten Bewegungen scheinen Licht und Schatten die Anzahl der einzeln synchron Agierenden zu verdoppeln, bis sie tanzend in der Gruppe zueinanderfinden. Im Hintergrund taucht eine überdimensionale Diaprojektion auf, deren Konnotationen in die Irre führen. Wie eine abstrahierende Kombination von Kirchenfenster und DDR-Sichelemblem lädt das schwarzweiße Symbol den Tanz mit einer Symbolik auf, die ihm nicht gerecht wird.

Tanz akut nennt die Tanzfabrik ihr Novemberprogramm und geht mit fünf neuen Tanzstücken und einer Wiederaufnahme, den Fragile Circumstances, in die Wintersaison. Dabei ging es um den »Tanz an sich« sowie die »Kraft der Abstraktion und die Macht der Intuition«. Im ersten Teil, dem Moving Target, einer Gastchoreographie des New Yorkers Frey Faust, findet sich die Einlösung des Vorhabens nur in den Pas- de-deux-Parts. Hier erfolgen die Reaktionen auf die Berührungen der Partner fließend. Was mit zarten Begegnungen von Händen und Armen begann, ergießt sich mit der Zeit zu einem harmonischen Ganzen. Nur knapp am Kitsch vorbei aber schrabbt die Inszenierung sonst, denn wie Morgenröte steigt rotes Licht auf, und nur um ein Haar verkneift es sich die Musik von dem New Yorker Philipp Frazer, von Flötentönen in Vogelgezwitscher überzugehen. Am Ende dieses ersten Teils marschiert das Ensemble unter dem Symbol im Gleichtanz geschlossen zurück ins Dunkle. Die Bemühung um die reine Ästhetik führt auch nur ins Nichts.

Mit Effekten wird nicht gespart. Rote Linien aus Licht grenzen den Bewegungsraum ein, den sich Claudia Feest läßt, um in Oda zur Musik von Arvo Pärt einige Zeilen aus Botho Strauß' Der Kongreß in Bewegung umzusetzen. Hinter Jacalyn Carley, die Prairie zu einem Klavierkonzert von Skriabin choreographiert hat, flammt ein wildbunter Hintergrund auf, der der Schule für abstrakten Expressionismus entliehen sein könnte.

Beiden Tänzerinnen geht es um die Auseinandersetzung mit dem Innenleben. Bedeutungsschwer zitiert Feest Strauß: »Ist es nicht so, fragte sie, daß wenn einmal der Kranz all dessen, was dir wiederfuhr, gewunden ist, dein Ich sogleich wieder verschwindet in seinem hohlen inneren Kreis, in seinem Hohl? Doch wenn etwas sich rundet, so umfängt es doch in seiner Mitte ein Hohl, eine Leere.« Die Tänze von Feest und Carley sind perfekt, kleine Experimente mit einzelnen Körpergliedern gelingen. Doch die Choreographie ist konventionell und dient eher der Illustration der Musik. Der Umsetzung fehlt die Dynamik, die darauf schließen ließe, in sich tatsächlich etwas gefunden zu haben, was von so großer Bedeutung sein könnte, daß es es sich lohnte, es einem Publikum vorzuführen. Wer in sich horcht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er dort auch nichts findet.

Geschickter geht die Engländerin Jeanne Ayling ihre Vorführung an. Zur Gitarrenmusik von Steve Poskitt, die ein wenig von der Weite des amerikanischen Westens erzählt, läßt sie ein Mädchen über die Möglichkeiten ihrer Füße staunen. Damit nimmt sie der Aufführung den etüdenhaften Charakter einer Werkschau. I know a girl who... lautet der Titel der Vertanzung ihres gleichnamigen Gedichtes. Leicht läßt sich Sympathie für die Figur empfinden, die sich aus dem Tanz zu einer Person entwickelt; die ausprobiert, stolpert, neu versucht, schließlich die hellblauen Leinenschuhe beiseite läßt.

Ähnlich freundlich eilt zum Schluß eine fünfköpfige Gruppe über die Bühne. Foothills hatte schon 1989 als Teil des Festivals Atlanta Salutes Berlin Premiere. Die rekonstruierte Fassung des Stückes verrät Routine und bringt die Stärke der Tanzfabrik wieder auf den Punkt: das Zusammenspiel der einzelnen Ensemblemitglieder, ihr Reagieren auf Körperkontakte. Wirklich eingelöst wird der Anspruch des Programms erst hier, und das, ohne daß akademische Ernsthaftigkeit geübt würde. Das Licht, das sonst monströs die Aufführung ins Überästhetisierte hebt, bleibt ausgeschaltet. Jeanne Ayling, Annette Klar, Kurt Koegel, Ka Rustler und Sylvia Scheidl tragen gymnasiale T-Shirts und knielange Flatterhosen, die die scheinbare Unbekümmertheit unterstreichen, mit der sie die Choreographie von Carley tanzen. Die Musik von Fast Forward und The Caffeine Effect schließlich, die mit allen möglichen ethnischen Elementen spielt, macht aus dem fünften Teil des neuen Tanzfabrikprogramms einen Werbefilm, wie ihn sich eine bestimmte Bekleidungsfirma für die Umsatzsteigerung ihrer »United-Colours«- Kollektion nicht schöner wünschen könnte. Claudia Wahjudi

Noch bis Sonntag täglich um 20 Uhr in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer 32, Berlin 61; Karten 18/15 DM.