Die größte Dioxinschleuder steht im Westen

■ Alugießerei in Reinickendorf ist größte Dioxinquelle der Stadt/ Müllofen Lichtenberg erst auf Platz zwei/ Senatsgutachten über Dioxinemissionen/ Muttermilch und Erdboden sind in Berlin schon jetzt zu stark mit dem Supergift kontaminiert

Berlin. Der Westen ist immer noch giftiger. Unter den drei größten Berliner Dioxinschleudern sind nach wie vor zwei Industriebetriebe im Westteil der Stadt. Das geht aus einem der taz vorliegenden Gutachten hervor, das das Ingenieurbüro ITU im Auftrag der Senatsumweltverwaltung erstellt hat. Die größte Quelle des Seveso-Giftes ist demnach eine Aluminiumgießerei in Reinickendorf, nach Informationen der taz handelt es sich dabei um die Firma Gottschol in der Kopenhagener Straße. Sie stößt laut Gutachten jährlich sage und schreibe 3,85 Gramm des Supergiftes aus, fast ein Viertel der gesamten stadtweiten Dioxinemissionen von 16,7 Gramm pro Jahr. Erst auf Platz zwei folgt die Müllverbrennungsanlage in der Lichtenberger Rhinstraße. Aus den Schornsteinen dieser Anlage, die bis heute ohne Rauchgasreinigungsanlage arbeitet, entweichen jährlich 3,17 Gramm Dioxin. Platz drei nimmt erneut ein Westberliner Betrieb ein, das Stahlwerk Bewalz an der Berliner Straße in Tegel mit knapp drei Gramm pro Jahr.

Diese Zahlen spiegelten allerdings nur den »gegenwärtigen Erkenntnisstand«, räumte Thomas Schwilling von der Umweltverwaltung am Montag ein. Es sei »nicht völlig auszuschließen«, daß im Ostteil der Stadt weitere Großemittenten vor sich hin kokelten.

In West-Berlin dagegen konnten die Behörden in den letzten Jahren auch Fortschritte verzeichnen. So wird in der Westberliner Müllverbrennungsanlage in Ruhleben jedes Jahr mit über 400.000 Tonnen Müll fünfmal soviel Abfall verbrannt wie in der Lichtenberger MVA. Trotzdem liegen die Dioxinemissionen hier mit 0,19 Gramm fünfzehnmal niedriger als bei dem Ostberliner Müllofen. Noch 1987 waren es in Ruhleben 11,7 Gramm. Dank einer 1986 installierten Rauchgasreinigungsanlage und eines neuen chemischen Verfahrens konnte man diesen Wert senken.

Diese zunächst in der Sondermüllverbrennungsanlage Schöneiche erprobte Methode könne auch den Dioxinausstoß in den beiden großen Aluschmelzen der Stadt deutlich reduzieren, hofft Schwilling. Neben Gottschol betreibt auch die Firma Oettinger an der Gottlieb-Dunkel- Straße in Tempelhof eine — allerdings kleinere — Alugießerei. Nach Schwillings Worten werden in etwa zwei Wochen Untersuchungen vorliegen, die genauere Auskunft über die Belastung von Luft und Boden im Umkreis der Aluschmelzen liefern.

Allein »mit bekannten Techniken«, so die Gutachter, lasse sich der »aktuelle Dioxineintrag« in Berlin »um mehr als die Hälfte reduzieren«. Solche Bemühungen wären dringend nötig. So sei die Muttermilch in Berlin und Westdeutschland so hoch mit Dioxin belastet, warnen die Gutachter, daß die »duldbare tägliche Aufnahme« für Säuglinge zum Teil »dramatisch überschritten« werde. Mit durchschnittlich 8,8 Nanogramm (milliardstel Gramm) pro Kilo ist auch der Erdboden in Berlin stark mit Dioxin verseucht. Besonders für Kleingärtner ist das eine alarmierende Nachricht: Eigentlich empfiehlt das Bundesgesundheitsamt in Berlin bei Werten über fünf Nanogramm, den Boden »nur noch eingeschränkt« für die Landwirtschaft zu benutzen.

Einen wachsenden Beitrag zur Vergiftung der Stadt leistet jedoch der Autoverkehr: In diesem Jahr rechnen die Gutachter mit einem Gesamtausstoß von einem Gramm. Zwar tanken immer mehr Autofahrer das ungiftigere, bleifreie Benzin, doch gleichzeitig explodiert die Zahl der Autos. hmt