STANDBILD
: The Medium is the Message

■ Paul Verhoevens Fernsehfilm "Schlaraffenland", Mo., 20.00 Uhr, ZDF

Manchmal, so scheint es, sind die Ereignisse realer, wenn wir sie als „footage“ (authentisches Material) im Rahmen eines Spielfilms wiedererkennen. Honeckers letzte Auftritte, die Ausreisewelle über Ungarn und die Tschechoslowakei, der Fall der Mauer, die ersten freien Wahlen etc. sind Ereignisse, die Paul Verhoeven am Rande in die Geschichte (re-)integriert. Unvergessen sind die dramatischen Spots aus der Prager Botschaft. Entschlossene Flüchtende springen über die Umgrenzungsmauer der deutschen Botschaft; verzweifelte, ans Gitter gepreßte Gesichter: Ja, gut so — und jetzt noch die Hand durch die Stäbe und das Kind mehr in den Vordergrund — prima: klick!

Die Reporter und Kameramänner/ -frauen sind nicht schuld. Sie sind nur die humanoide Bedienungsanleitung der Apparate. Die Gaffer zu Hause vor der Glotze sind auch nicht schuld. Die haben nichts anderes gelernt. Geschichte, unsere aktuelle deutsche zumal, ist eben ein Film unter vielen Filmen. Wir sind gerade aus dem Kino gekommen oder das Programm gewechselt. An einzelne Szenen und „gutgemachte“ Aufnahmen erinnern wir uns in 15 Jahren noch genauso gut wie heute. Die Vereinigung ist ein Videoclip — ein bißchen hektisch, mit vielen Schnitten und so: aber gut gemacht!

Paul Verhoeven hat sich das filmische Prinzip der Geschichte zunutze gemacht und einfach zurückgespult, schneller Rücklauf in den Herbst 1989; Stop — langsamer Vorlauf. In elf Standbildern erleben wir das Spektakel noch einmal, in Zeitlupe. Jürgen und Karin fliehen nach Prag, kehren zunächst wieder zurück, Anfeindung und Unterstützung, dann Ausreise nach München, Aufbaukredit und Übernahme einer Messebaufirma, Eintritt in die blasierte Münchner Schikeria, kurz darauf Bankrott.

Das heute-journal- und Tagesschau-Publikum sieht sich mit zunehmend sarkastischeren Dialogen konfrontiert: „Ich gehe derweil putzen“, sagt eine Freundin aus Ost- Berlin, „die nehmen lieber eine aus der DDR als 'ne Türkin“. Es wird gesprochen in Verhoevens Film, und das ist gut so. Über Sprache können wir verfügen, Sprache macht ein Gedächtnis; Bilder werden uns wie Silicon-Fugendicht ins Hirn gespritzt.

Nach dem Bankrott ereilt Jürgen das schlimmste deutsche Schicksal: Auto und Frau weg, letztere hat sich der Autohändler als Draufgabe auch noch unter den Nagel gerissen. Das großzügig gewährte Kapital für Ost- Existenzgründungen fließt in die Taschen der Vereinigungshaie.

Als der Looser Jürgen das kapiert, wird er kurzerhand auch ein Wessi und nutzt seine Kenntnis der Lage, um naive Ossis mit Wohnungsspekulationen abzulinken. Dabei bringt er zwar seine Schwiegermutter ins Grab, aber seine Frau kommt zurück, weil Jürgen endlich der Mann ist, den sie will.

Wahrheitsgemäßer und boshafter hat wohl kaum jemand den Vereinigungsprozeß gegeißelt. Da werden viele umgeschaltet haben.

Manfred Riepe