Kohl und realsozialistische Einheitssoße

Die meisten ehemaligen DDR-BürgerInnen können mit den vielen neuen Lebensmitteln noch nichts anfangen  ■ Aus Berlin Olaf Kampmann

Als die Mauer aufging und die Ostberliner die Frischkostmärkte des Westens stürmten, schienen für die Obst-und Gemüsehändler goldene Zeiten anzubrechen. Doch die Menschenlawine, die da schier endlos an den reich bepackten Ständen entlangquoll, hatte keine Augen für die vielen fremdländischen Dinge, die in den Auslagen zu sehen waren und so unverständliche Namen wie Avocados oder Auberginen trugen. Einzig bei den legendären Bananen, den Bergen von Apfelsinen, Mandarinen oder Ananas lief dem staunenden Zoni das Wasser im Mund zusammen. Da war er sofort bereit, seine paar Westgroschen aus der Tasche zu holen, um vollbepackt die Seinen im heimischen Prenzlauer Berg mit den für sie sonst nur zur Weihnachtszeit erreichbaren Köstlichkeiten zu beglücken. Diese offensichtliche Ignoranz gegenüber den anderen Exoten folgte schlicht der alten Regel: „Wat de Buer nich kennt, frißt he nich“. In der DDR hatte nämlich schon lange vor der staatlichen Vereinigung beider deutscher Staaten der Kohl die Regentschaft übernommen.

Die einzigen Frischkostprodukte, die neben dem DDR-spezifischen Apfel mit der irreführenden Sortenbezeichnung Gelber Köstlicher sommers wie winters ständig angeboten wurden, waren der Weißkohl, der Rotkohl sowie die aus ihnen hergestellten Produkte wie zum Beispiel Sauerkraut. Bei diesen Artikeln war das Angebot größer als die Nachfrage und ließ sogar die eigentlich gar nicht mehr existente Produktwerbung wieder auferstehen. Als zum Beispiel im Winter 88/89 die Grippewelle auf die ostelbischen Lande zurollte, die weihnachtliche Apfelsinenzuteilung jedoch schon längst aufgebraucht war, wurden nicht nur entsprechende Anzeigen geschaltet. Selbst der redaktionelle Teil der Zeitungen war voller Artikel, die in höchsten Tönen den gesundheitsfördernden Vitamin-C-Gehalt des Sauerkrauts priesen. Zu der Eintönigkeit des Angebotes in den Geschäften kam die der allgemein üblichen Zubereitung.

Das nobelste Gericht, das man in einer Gaststätte der mittleren bis gehobenen Preisklasse in dem Gebiet zwischen Kap Arkona und Sonneberg bestellen konnte, hieß Steak mit Champignons. Dieses Gericht bestand zumeist aus einem Stück ungegerbter Rindsledersohle, einem halben Löffel Mehlplempe, die der Koch fürsorglich eine Stunde neben einen Champignon gestellt hatte, sowie drei bis vier Kartoffeln.

Ein besonderer lukullischer Höhepunkt waren die Soßen der Deutschen Demokratischen Republik. Hier ist der Plural eigentlich fehl am Platze, handelte es sich doch um eine realsozialistische Einheitssoße im wahrsten Sinne des Wortes. In einem geheimen Pipelinenetz wurde von einer ebenso geheimen Zentrale eine zähe, braune Masse unbekannter Zusammensetzung in das System gekippt, an das sämtliche Kantinen und Gaststätten des Landes angeschlossen waren. In einem war diese Kreation unübertroffen: In ihrer absoluten Geschmacksneutralität. Und nur auf Grund dieser Eigenschaft war es möglich, sie allen fünf in der DDR- Gastronomie bekannten Gerichten zuzusetzen, beziehungsweise dieselben aus ihr herzustellen. Die fünf Gerichte hießen: Gulaschsuppe (nur Soße), Soljanka (Soße mit zwei Wurstzipfeln drin), Hacksteak (Bulette mit Soße), Steak mit Champignons (siehe oben) und Zigeunergulasch (Soße mit zwei bis vier Fleischfasern sowie etwas Paprikaaroma).

Zu vermuten, daß der ehemalige DDR-Mensch zumindest am heimischen Herd mehr Phantasie walten ließ, als dies in den volkseigenen Küchen der Fall war, ist ein Trugschluß. Zwar gab es eine kleine Minderheit, die es sich zeitlich und finanziell leisten konnte, in sogenannten Delikat- Läden die notwendigen Zutaten zu erstehen, um sie nach Hinweisen aus mühsam ergatterten Kochbüchern in aller Ruhe zuzubereiten. In der überwiegenden Mehrzahl der Familien war jedoch regelmäßig entweder Eintopf oder Kotelett angesagt, und das hat sich bis zum heutigen Tage kaum geändert. Die einzige Ausnahme sind die vielen Konserven- und Fertiggerichte, die neuerdings in den Läden zu haben sind. Doch die schmecken eben auch wieder alle gleich, wenn auch auf eine andere Art. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis der Ex- DDRler auch hinsichtlich kulinarischer Kreativität seine Einheitshaltung abgelegt haben wird.