„Die Bürger sind gewohnt, fremde Kost aufzunehmen“

■ Veränderung der Eßgewohnheiten durch Angebotsvielfalt/ Ein Gespräch mit Rolf Großklaus INTERVIEW

taz: Durch die EG hat sich auch in der Bundesrepublik ein riesiger Lebensmittelmarkt erschlossen. Wie wirkt sich das erweiterte Angebot auf unsere Eßgewohnheiten aus?

Rolf Großklaus: Durch den künftigen gemeinsamen Markt wird sich das Warenangebot verändern, aber nicht so, daß wir neue Produkte kaufen können, die wir nicht kennen. Die Bundesbürger sind es durch den weltweiten Tourismus gewohnt, fremde Kost aufzunehmen. Die italienische, französische und englische Küche gibt es auch bei uns schon lange, und das wird durch den gemeinsamen Markt nun noch mehr betont.

Zum einen gibt es eine Ausweitung des Angebots — aber gibt es nicht auch eine Verringerung, weil die Sortenvielfalt unrentabel ist?

Das ist richtig. Das läßt sich gegenwärtig daran beobachten, daß plötzlich Apfelsorten aus dem Havelland angeboten werden, die man hier nur noch aus der Kindheit kennt. Wenn man auch im Winter Tomaten essen will, hat das durchaus geschmackliche Nachteile. Sie werden in Treibhäusern gezüchtet, wobei die Ernährungswerte nicht so unterschiedlich sind. Aber letztlich entscheidet der Verbraucher, was er wünscht oder nicht. Und der Markt wird sich danach richten.

Sie begrüßen also die Ausweitung des Angebots?

Ja, auch aus ökologischer Sicht. Es ist doch besser, wenn beispielsweise Verbraucher nicht auf Waren aus schadstoffbelasteten Regionen angewiesen sind, sondern durch ein breites Angebot Produkte wählen können, die weniger belastet sind.

Kann der Verbraucher von EG-Produkten kontrollieren, ob sie aus belasteten Gebieten kommen?

Das ist Aufgabe der Lebensmittelüberwachung. In der Bundesrepublik werden die Daten gesammelt. Künftig sollten diese aber EG-weit mehr ausgetauscht werden.

Was wurde früher vorwiegend gegessen?

Da müßte man erst einmal definieren, wann früher ist. Im Mittelalter war der Pro-Kopf-Verbrauch an Fleisch sogar höher als heute. Erst im 17. und 18. Jahrhundert, und zwar in Preußen, wurde die einfache Hausmannskost gegessen. In der Nachkriegszeit, als Schmalkost angesagt war, traten ernährungsbedingte Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Übergewicht weit weniger auf.

An Gemüse gab es damals vor allem die einheimischen Sorten aus dem Hausgarten. So war es auch noch bis vor kurzem in der ehemaligen DDR. Es wurden Äpfel eingelagert, die jedoch nur begrenzt reichten. Die Kartoffel, die inzwischen leider mehr und mehr vom Speiseplan verschwindet, trug in der Nachkriegszeit durch ihren Vitamin- C-Gehalt und ihre Eiweiße wesentlich dazu bei, Mangelkrankheiten zu vermeiden. Ansonsten griff man auf eingewecktes Obst und Gemüse zurück. Das ist nun fast aus der Mode gekommen, weil immer alles zu haben ist.

Das hängt auch mit unserer veränderten Berufswelt zusammen. Wir gehen doch alle in Kantinen essen. Dadurch und durch die Entwicklung der Lebensmitteltechnologie hat sich unser Warenangebot derart verändert, daß die Hausmannskost gar nicht mehr gefragt ist. Interview: Bärbel Petersen

Rolf Großklaus ist Ernährungsmediziner am Max-von-Pettenkofer-Institut des Bundesgesundheitsamtes Berlin