„Sieh doch die Lebendigkeit ... bei McDonalds“

Liebschaften beginnen und enden in Istanbul bei McDonalds/ Was zählt da schon die als Kaffee servierte schwarze Brühe Doch auch beim schnellen Imbiß läßt sich Döner Kebap nicht durch Hamburger verdrängen und „Istanbul wird nicht untergehen“  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

„Scheiße“ schimpft der Junge in der sonderbaren grünen Uniform und dem McDonalds-Käppchen, als ich mein Hamburger-Menue plus Kaffee bestelle. Das Gedränge ist groß, die Kassierer müssen sich abhetzen. Der Junge an der Kasse muß lange Zeit in Deutschland gelebt haben, noch einmal klagt er vor der Lärmkulisse auf deutsch: „Scheiße“. Es ist fünf Uhr nachmittags und McDonalds am Taksim Platz, eine der Filialen, die der fast-food-Konzern binnen vier Jahren in Istanbul eröffnete, ist proppenvoll. Für die reale Scheiße von Tausenden männlichen Besuchern hat McDonalds ein Pissoir und eine Toilette vorgesehen.

Ich nehme auf einem der Hocker vor den Plastikblumen Platz, versuche, den Hamburger — internationaler Standard — runterzuwürgen, und beginne mit der journalistischen Tätigkeit: „Warum gehen Sie in McDonalds speisen?“. Der junge Mann blickt mich entgeistert an. „Sieh doch die Lebendigkeit, das moderne zivilisierte Leben. Wo kommen sonst noch soviel junge Leute zusammen. Und wo kann ein 17-jähriges Mädchen alleine hin ohne angemacht zu werden?“ Mein junger Interviewpartner hat recht: Der Ort ist ein Paradies für Schülerinnen und Schüler. Ein Junge streichelt einem Mädchen die Haare. Liebschaften beginnen und enden hier. Was zählen schon die Nivellierung des Geschmacks, die schwarze Brühe, die sich Kaffee nennt, die recht teuren Preise und die engen und dreckigen Toiletten? Über das, was hinter den Tresen passiert, kann ich nichts sagen. Die Sekretärin in der McDonalds-Zentrale wimmelt mich — höflich, bestimmt und nichtssagend — regelmäßig ab.

„Der Westen ist lüstern auf unsern Magen“ lautete jüngst eine Schlagzeile der türkischen Tageszeitung ,Hürriyet‘ über die Eßgewohnheiten der Türken. Das anerkannte Meinungsforschungsinstitut Kamar hatte in einer empirischen Studie zutage gefördert, daß der Marktanteil der fast-food-Ketten Jahr für Jahr zunimmt. Fast jeder zehnte Istanbuler ißt mittags bereits Hamburger; der Frauenanteil ist noch höher. 40,6 Prozent bevorzugen Cola. Das traditionelle türkische Yoghurt-Getränk Ayran kommt gerade auf 29,3 Prozent. Die überwältigende Mehrheit der zeit- und verkehrsgestreßten Istanbuler muß außer Haus zu Mittag essen. Kein Wunder, daß sich fast- food steigender Beliebtheit erfreut. Doch trotz der Fast-Food-Ketten versorgen noch immer ganze Kolonnen fliegender Händler, Kioske und winzige „Lokantas“ (Restaurants) die hungrige Bevölkerung mit in Sekunden zubereiteten warmen Kleinigkeiten. Der traditionelle Imbiß hat sich nicht durch den Hamburger verdrängen lassen. Über 21 Prozent der Istanbuler essen mittags noch Köfte, fast 18 Prozent Döner Kebap, und 14,5 Prozent suchen noch eine Lokanta auf, in der es Suppe, gemüsereiche türkische Küche und anschließend Süßspeisen gibt.

„Kanaat“ in dem Stadtteil Üsküdar ist eines der bekanntesten dieser kleinen Restaurants. „Essen ist Kultur. Unsere Gäste nehmen sich Zeit dafür“, sagt der Eigentümer Fuat Kargili, der seit Jahrzehnten den Familienbetrieb führt. Über 50 warme Hauptspeisen, mehrere Dutzend mit Olivenöl zubereitete kleine Köstlichkeiten und rund 20 Süßspeisen hat das Lokal zu bieten. Ob grüne Bohnen mit Lammfleisch, ob gefüllte Auberginen in Olivenöl, — „kanaat“ heißt Genuß. „Dieses Lokal steht über den Klassen“ behauptet der 48jährige Eigentümer. Er hat recht. Die Mahlzeiten sind extrem preiswert — ein LKW-Fahrer kann sich hier ein Essen ebenso leisten wie ein Manager. Kargili kauft die Zutaten für die Speisen seines Lokals selber ein. Aus einem bestimmten Dorf wird die Schafsmilch für das wunderbare Eis bezogen. Und auch die Walnüsse, die zermahlen auf Süßspeisen gestreut werden, müssen aus einer ganz bestimmten Region kommen.

In dieser Stätte der Gaumenfreuden wird nichts versteckt. Sofort will mir Kargili seine Küche zeigen. Eine Küche kann nicht sauberer sein. Marmorne Waschbecken und Duschen für das Personal. 70 Quadratmeter im oberen Geschoß sind mit weiträumigen Toiletten ausgestattet. Nach meinen Erfahrungen bei McDonalds traue ich meinen Augen nicht mehr.

War er jemals Hamburger essen?. „Freilich“, sagt Kargili, „vor wenigen Monaten, meine 14-jähriger Sohn und meine 12-jährige Tochter haben mich dorthin geführt.“

Doch Kargili ist ein zu großer Künstler um abfällig über andere zu reden. Er beläßt es bei dem Satz, der den Glauben an eine bessere Zukunft nicht aufgibt: „Istanbul wird nicht untergehen.“