Akustische Liebe

■ Anna Palm und Anne Clark im Quartier Latin

Eine ist gerade eingestiegen, die andere fest etabliert. Anne Clark ist der Star, mit unzähligen Hitsingles in den Techno- und Dance-Charts, dazu mehreren vergoldeten LPs. Sie war auch der Headliner des Abends, der mehr Fans auf die Beine brachte als das Quartier am Mittwoch fassen konnte. Kredit für Anne, die trotzdem eigentlich lieber dahin will, wo ihre Vorfrau sich mit graziler Leichtigkeit bewegt: zur Akustik.

Von Anna Palm sagt man, sie sei »der Jimi Hendrix der Geige«. Wahr ist, daß Anna zuallererst eine Musikerin ist, mit einem sehr genauen Bewußtsein über ihre Stellung als Frau im Showbusineß — das zeigen ihre Texte. Was Kritiker dazu veranlaßt haben mag, diesen Vergleich zu bemühen, ist ihre Verschmelzung mit dem Instrument. Fast scheint sie mit der Geige verwachsen zu sein, so mühelos gehen Gesang, gestrichene, gezupfte und akkordisch geschlagene Geige ineinander über. Als Soloperformerin hat Anna Palm angefangen, mit Instrument und Stimme. Rhythmus war nur ihr Fußstampfen.

Mit ihrer Debüt-LP Arriving & Cought Up, die sie im Konzert vorstellte, ist sie an einer ersten Station angekommen. Die Vollakustik ist einer Form der Vermischung und Untersetzung der Violinenparts mit Perkussion und synthetischen Klangsequenzen gewichen. Auf der Bühne bot sie ein Soloprogramm, Halb- Playback aus Live-Gesang und Spiel und Rhythmus-Grooves vom Band. Ein sehr zwiespältiges und auch unverständliches Unterfangen, weil ihre Perkussionistin, Michelle Chowrimootoo, ja anwesend und im Anschluß mit Anne Clark »on stage« war. Im ersten Teil ihres Konzerts überwogen noch die wunderschönen Lieder, abseits aller Trends. Ihre Stimme war ein Feuerwerk über sämtliche Tonlagen und Stimmungen. Mit der Geige bewies sie, daß ihr Wunsch, einmal mit Black Sabbath zu spielen, ernst gemeint und durchaus berechtigt ist. Das Publikum reagierte aber eher auf die merkwürdig dahinschlendernden Songs mit ihrer wundersam klaren, feingliedrigen Melodik als auf die ständigen Aufforderungen zum Tanzen. Man hat ihr nicht das abgekauft, was Anna Palm so gerne losgeworden wäre: ihre Tanzwut.

Genau dazu brauchte Anne Clark nur fünf Sequenzertakte, und die Hände waren sofort oben. Die Lithurgie aus Gesellschaftskritik und Dancefloor-Ästhetik entsprach offenbar der Erwartungshaltung des Publikums. Es waren die stampfenden Beats, die Pulsschläge der Rhythmusmaschinen, die die Menge wollte, die Anne Clark jetzt aber im Grunde krank machen, von denen sie eigentlich loskommen will. Die Band-Besetzung signalisierte bereits den Wandel mit Palms Perkussionistin, mit einem Cellisten, ganz vorn, der bei den Technohits auch mal E-Baß spielte, und einer Violonistin, die zwischendurch auch Saxophon blies. Daneben natürlich die für den Anne-Clark-Klangteppich zuständigen Keyboards, ihre immer leicht vorwurfsvolle und aufmüpfige Stimme. Nur zögernd ging die Menge darauf ein: Hilflos schunkelte man zu den getragenen Balladen voller Schwermut und schöner Traurigkeit, zwischen den Tanznummern. Lieder, nur von Cello und Geige begleitet, äußerst sparsam von nebulösen Samples untermalt, leise Töne allgemein, wurden eher der Voice'n'Violin-Performerin Anna Palm zugestanden, die sich nichts sehnlicher wünschte, als die Massen tanzen zu sehen, nicht aber Anne Clark, der ein Abschied aus der Maschinenwelt schwergemacht wird. Micha Möller

Anna Palm und Michelle Chowrimootoo spielen heute um 20 Uhr im Seitenschiff, Nostizstraße, Berlin 61.