Die Schweißfüße des Achilles oder: Die Zehen der Großstadt

■ Der Sommer ist vorbei, aber unsere Reporterin wird immer noch von Fuß bis Kopf vom Alp gequält/ Ein Plädoyer für den gepflegten Fuß

Einsteigen in die U-Bahn. Klebrige Sitze kleben an schwitzenden Unterschenkeln, die wie Wurstpellen in Hotpants eingeschweißt sind. Ich setze mich angeekelt auf die Bank, senke meine Augen: Füße. Die in festen Schuhen sind mir am liebsten. Die mit pastellfarbenen Söckchen in weißen Sandaletten sind erfreulicherweise seltener geworden. Cowboystiefel oder Turnschuhe verbergen wenigstens das, wovor ich mich fürchte. Das, wovor ich mich fürchte — nackte Füße.

Nackte Füße sind ein Greuel. Nicht aus Tabugründen, nein, sondern weil es hier, zumindest in Berlin nur — freundlich gesagt — unschöne Füße gibt. Bei der Dame nebenan drücken sich die Zehen, eingezwängt in Perlonsöckchen, zwischen den geflochtenen Lederstreifen brauner Sandaletten durch. Unschön angewinkelt, denke ich, aber die Zehen lassen sich eben nicht weiter bewegen — typische Hammerzehen.

Wegsehen. Abgebrochene oder eingerissene Nägel, die sich in die Nagelhaut bohren und diese seitlich nach oben drücken. Daneben steht ein ganz besonderes Exemplar: rote, dick angeschwollene Füße in fleischfarbenen Schuhen, auf den Zehennägeln knallroter Nagellack, der sich mit braunem Dreck und blauen Flecken abwechselt. Ein bißchen weiter oben sind die Beine offensichtlich mit einer stumpfen Rasierklinge oder einem kaputten Ladyshave bearbeitet worden. Dunkle Haarbüschel stehen vereinzelt auf weißer Haut mit rot pigmentierten Erhebungen, die wie aufblühende Akne scheinen.

Auch die Füße eines jungen Mannes, der in dunkelbraunen Birkenstock-Sandalen vor mir steht, sind dicht mit Haaren bewachsen. Haare, die sich zwischen dem zweiten und dritten Zehenglied häufen und akkurat nach oben wegstehen. Die Nagelhaut wächst dicklich, schrumpelig und langsam über den gesamten Zehennagel nach vorn, so daß nur noch die Spitze des Nagels zu sehen ist. Da die Nägel nicht rund geschnitten wurden, stehen rechts und links noch Stückchen, die sich unter fast schwarzem Schmierendreck wölben.

Jetzt gelingt es mir nicht mehr, auf den Boden zu sehen, da sind nur noch weiße fußpilzbefallene Extremitäten. Bloß nicht den Blick schamhaft senken. Tote Hühneraugen glotzen dich an! Locker wippen sie beim Hochschlappen der Holz- oder Gummilatschen mit. Beim Bremsen der Bahn kommen sie bedrohlich nah. Nagelhautentzündungen, Pestwucher, Blutergüsse. Wild wucherndes Fleisch, das den Nagel fast aufreißt, sprengt. Am allerschlimmsten: der einzelne abgelöste Nagel. Durch Druckanwendung blau geworden, losgelöst vom Fleisch, das nun zart und empfindlich dasteht. Wenn sich da mal ein Absatz einbohrt... Mir wird schwarz vor Augen — ich muß raus. [Gott sei Dank ist jetzt Winter und alle Füße gut verpackt - d.S.]

Raus aus der U-Bahn

Aber auch draußen warten sie auf mich. Und nicht nur Füße. [Tobt die Autorin ihre rassistischen Gedanken auch am eigenen Fuß aus? - d.S.] Die Wartebank ist mit Schweißschlieren behaftet, was meinen Magen aufs neue in Wallung bringt. Trotzdem, ich muß mich setzen. Da kommt sie. Nett, adrett mit schön rasierten Beinen im kurzen Sommerkleidchen. Sie war einkaufen, schleppt fünf Tüten mit sich rum und setzt sich neben mich. Ich schaue sie an, weide mich an den sauberen, gepflegten Beinen und Füßen — es geht mir gut. Dann macht sie einen fatalen Fehler. Sie steckt sich ihr Haar zusammen und muß dazu ihre Arme anheben. Ein Blick unter die Achsel: Sie hat die Haare rasiert und um den Schweiß abzufangen, die rötliche Haut eingepudert. Aber das Zeug hat sich verklumpt, ist nicht mehr aufnahmefähig, hängt in kleinen, würmchenförmigen Popeln unterm Arm. Oh mein Gott. Annette Weber