»Ein Hühnerauge ist ein Dornkeil«

■ Zu Besuch in drei verschiedenen Klassen von Fußpflegeinstituten: Plüschladen, Wartesaal und Kurklinikum

Salon Michele Preuß — Neukölln. Duftige Gesundheitsschuhe im Schaufenster. Rosarot und etwas plüschig der Salon selbst. Drinnen sitzt eine alte Dame auf dem Behandlungsstuhl, die Füße nach oben gelegt, unter ihr eine rote Plastikschüssel mit Fußbadeschaum. Frau A. hat so ziemlich alles, was einen Fuß befallen kann. Vom eingewachsenen Nagel über geschwollene Ballen bis zum Pilz.

Frau Michele Preuß, die Fußpflegerin, antwortet auf meine Fragen und schneidet nebenbei an Frau A.s Nägeln ziemlich gewaltsam herum. Frau Preuß: »Das, was ich jetzt am häufigsten behandle, ist die Trockenheit der Füße. Die Leute trinken viel zuwenig, und an den Füßen kann man ja immer genau sehen, wo der Mensch welche Krankheit hat. Frau A. zum Beispiel hat Probleme mit der Wirbelsäule, das macht auch ihre Füße krank.« Frau A. schreit auf, Frau Michele hat zu tief ins Fleisch gebohrt.

»Klar«, berichtet die Pflegerin weiter über die aktuellen Fußprobleme, »jetzt tauchen die Krankheiten auf, vor allem der Fußpilz, den sich die Leute im Sommer beim Schwimmen geholt haben, macht sich jetzt richtig bemerkbar. Eine weitere Dummheit ist ja, daß sich die Leute, wenn's heiß draußen ist, dreimal am Tag die Füße mit Seife waschen. Völlig falsch. Das zerstört den pH-Wert, und viele bekommen Hautpilz davon.« Frau A. guckt mittlerweile ziemlich böse, ihre Nagelhaut sieht schlimm aus. Frau Preuß schnippelt weiter, Hühneraugen entfernen, Hornhaut absäbeln. Die Schale, in der die Geräte liegen, ist schon bedeckt mit Hautfetzen.

Im Salon von Kollegin Karin Schulz zeigt sich die andere Welt der Fußhallen. Sie ist eine dieser Damen, die offensichtlich in den siebziger Jahren zur Kosmetikerin ausgebildet wurde. So trägt sie immer noch breite türkisfarbene Bänder, die ihre glatten, rundgebürsteten Haare nach hinten halten. Sie ist »dezent« geschminkt — blaue Lider, schwarze Wimpern, rosa Mund — und scheint ein enormes Mißtrauen gegen Menschen zu hegen, die nicht Stammkundinnen bei ihr sind.

Hier werde ich kaum zur Tür hereingebeten. Und was meine Augen zwischen den Türen zu sehen bekommen, hat auch überhaupt nichts Plüschiges. Hier bekommt keine Kundin die andere zu Gesicht, ist kein freundlicher Austausch über die persönlichen Fußkrankheitsbilder möglich. Auf kleinen braunen Schreibtischen liegen die Terminpläne, steht das Telefon. Alles andere im Raum ist durch Vorhänge sorgfältig abgetrennt. Vor den Vorhängen Bänke für die geduldig Wartenden. Hier gilt ein weißer Plastikvorhang als modern, ein vergilbtes Bild mit verkrümmten Nägeln im Schaufenster als Beweis für Tradition.

Diese Gruppe der FußpflegerInnen scheint am abgehärtetsten. Auch Frau Karin Schulz hat am häufigsten mit eingewachsenen Nägeln zu tun. Hühneraugen und Hornhäute, Fuß- und Nagelpilz sind auch für sie Alltag. Auch Frau Schulz hat zunächst ein paar Tips auf Lager, bevor sie leidend lächelt und mit mir über die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfüßen plaudert: »Ja, was ich allen raten würde, ist, keine Synthetik-Strümpfe zu tragen, auch mal die Schuhe zu wechseln.« Bewundernd spricht sie über das Bindegewebe der männlichen Füße und gelangweilt über ihren Alltag: »Jüngere Leute kommen meist, wenn sie extreme Belastungen durch ihren Beruf haben. In der Kosmetik wollen sich jüngere Frauen pflegen lassen. Druckstellen und Hühneraugen, die durch die Belastung entstehen, behandle ich am häufigsten. Durch modische, aber nicht fußgerechte Schuhe entstehen zum Beispiel eingewachsene Nägel. Die entstehen aber auch, wenn die Nägel nicht richtig geschnitten wurden: Man muß die Nägel an den Füßen gerade schneiden.« Allerdings seien Knochenveränderungen wie etwa Hammerzehen die Sache der Chirurgen. Sie könne dann nur die daraus entstehenden Hornhäute oder ähnliches behandeln. Fußpilz bekomme man im feuchtwarmen Milieu, wenn man beispielsweise über Wiesen laufe und sich die Zehenzwischenräume nicht abtrockne. Allgemein sei wichtig, daß man bei Fußpilz jeden Tag die Socken wechsle.

»Bei älteren Leuten habe ich schon häufig viele verdorbene Füße. Männer haben am wenigsten Probleme. Vielleicht, weil sie immer vernünftige Schuhe tragen, aber auch wegen des Bindegewebes und der Knochen. Bei Frauen verändert sich der Knochen doch eben stärker.« Aber, nuschelt sie gähnend weiter, »alles andere müssen sie den Orthopäden fragen und bei besonderen Nagelkrankheiten den Dermatologen. Für so was bin ich dann nicht zuständig.«

Aber, sagt Frau Schulz dann noch eilig: »Eigentlich bin ich ja auch Kosmetikerin, und da habe ich auch sehr viele KundInnen, auch Männer, die sich immer häufiger pflegen lassen wollen. Da könnte ich ihnen noch einiges berichten.« Danke, sage ich, denn mich interessieren diesmal leider nur die Füße ihrer KundInnen. Das kann sie wie viele ihrer Kolleginnen überhaupt nicht verstehen.

Die dritte Art der Fußtempel unterscheidet sich in allem von den rosa-plüschigen und den zugezogenen, abgeteilten. Die Fußpflegerinnen dieser Etablissements sind solar- oder Mallorca-gebräunt, freundlich, aufgeschlossen und scheinen noch Freude an ihrem Beruf zu haben. Sie unterhalten sich mit Kundinnen, scherzen mit Wartenden und würden sogar das Fotografieren der behandelten Füße zulassen. Aber das wollen die BesitzerInnen derselben nicht. Hier fallen Begriffe wie Silikon-Orthetik und Orthonyxie, hier werden Hühneraugen für Laien populärwissenschaftlich definiert, wird über die teure Anschaffung eines neuen Poliergerätes geplaudert.

In einer dieser Praxen kann ich mir schon fast vorstellen, meine Angst zu überwinden und meine Füße hier pflegen zu lassen. Bei diesen Pflegerinnen erinnert nichts — zumindest vordergründig nicht — an den Schmerz und den Ekel, mit dem die Pflegefraktion aus den Siebzigern ihre Werbung macht.

Diese dritte Art der Fußsalons und die dazugehörigen Frauen wirken eher wie Kurärztinnen, zu denen man um des Verwöhnens willen geht. Die Wände sind hölzern und hell. Vorräume mit Kokosteppichen — eine Mischung zwischen IKEA Verkaufsraum und finnischer Sauna. Hier riecht es gut, nicht der sonst übliche Geruch nach abgestandenem Fußbad. In diesen Räumen wird die Seriosität nicht durch verstaubte Aufgebote von Nagellack und Lippenstift für 3.95 Mark in den Modefarben von 1985 infrage gestellt. Das freundliche Bild wird nur durch die entsetzlich spitzen Werkzeuge wie Scheren, Zwicker und Polierapparate getrübt.

Ulrike Winkler, eine der VertreterInnen dieses Ambientes, bringt mich dann doch ganz schnell wieder auf den Boden zurück, als sie über das erzählt, was ich eigentlich hören will: »So ein Hühnerauge ist ein Dornkeil.« »Dornkeil?« frage ich und muß mich wundern. »Dornkeil«, sagt sie und blitzt kurz und streng. »Ein Dornkeil, der sich aus einer Druckstelle entwickelt hat. Irgendwann verhärtet sich da die Haut, es bildet sich ein Keil, der sich dann in das Weiche hineinschiebt.«

Danke, sage ich und will auch gar nicht mehr nach weiteren »Spezialitäten« fragen. Nein, auch hier hätte ich meine Füße nicht verraten und preisgegeben. Annette Weber