Bosnien wählte eine Nationale Koalition

Im tief durch den Islam geprägten Bosnien-Herzegowina konnte sich die muslimische „Partei der Demokratischen Aktion“ durchsetzen/ Auch die Minderheiten der Serben und Kroaten votierten zum überwiegenden Teil für ihre Nationalparteien  ■ Von Erich Rathfelder

Zwar wird es den Besuchern der Halbmillionenstadt in diesen grauen Novembertagen schwer gemacht, einen Überblick über die Stadt zu gewinnen. Der Nebel und der Smog lassen den nicht zu. Doch ein Rundgang, vorbei am imposanten Kuppelbau der Gazi-Huzrev-Beg-Moschee, vorbei an dem schlanken Uhrturm aus dem 16. Jahrhundert und hinauf zu den von Dutzenden von Moscheen überragten Vorstädten, gibt einen Eindruck davon, wie stark die Stadt durch die islamische Gesellschaft geprägt ist. Waren die sakralen Bauten während der letzten 50 Jahre noch geduldet worden, die Religionsausübung in aller Öffentlichkeit wurde nicht toleriert. Wenn jetzt Schlag 12 Uhr mittags die hellen Gesänge der Muezzine, die von den Türmen der Moscheen erklingen, sich mit dem schweren und dunklen Glockenklang der christlichen Kirchen vermischen, ist die Veränderung im Lande ohrenfällig geworden. Seitdem hier über eine demokratische Gesellschaft nicht nur nachgedacht, sondern auch öffentlich diskutiert werden kann, und das ist noch keine sechs Monate her, melden sich auch die Kirchen wieder eindrücklich zu Wort. Das eigene religiöse Bekenntnis öffentlich zu machen, ist kein Verbrechen mehr.

„Die Religion war in den letzten Jahren sehr stark unterdrückt. So ist es kein Wunder, wenn wir jetzt die Gegenreaktion erleben. Doch das wird sich einpendeln“, versucht der Ingenieur und Vizepräsident der größten muslimanischen Partei, der SDP (Partei der demokratischen Aktion), Muhamed Cengic, die religöse Welle in Bosnien zu relativieren. Nicht die Religion, sondern vor allem das Bedürfnis nach Selbstformulierung als Bosnier sei ausschlaggebend für das Ergebnis bei den Wahlen am letzten Sonntag. „Wir kämpfen für einen bosnischen Staat. Bisher wurden wir als Nationalität mit eigenem Staat in Jugoslawien nicht anerkannt“. Er verbirgt seine Freude nicht über den Wahlsieg seiner Partei, die vorläufig 38 Prozent der Stimmen erhielt und in beiden Kammern des Parlamentes dominiert. Es sei ihnen gelungen, trotz der liberalen Konkurrenzpartei durch die muslimanische-bosniakische Organisation im eigenen Lager, die Muslimanen, die mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zu mobilisieren. Für das siebenköpfige Republikspräsidium liegt der ehemalige Direktor der in Konkurs gegangenen Firma Agrokomerc, Fikret Abdic, mit 45 Prozent der Stimmen vorn.

Cengic überrascht es andererseits auch nicht, daß nach Auszählung von numehr mehr als 90 Prozent der Stimmen auch die „Serbische Demokratische Partei“ mit 30 Prozent der Stimmen ihr Potential ausschöpfen konnte. Die kroatische Partei hingegen, die 20 Prozent der Bevölkerung repräsentieren will, konnte nur 16 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen.

Dagegen herrscht in den Parteizentralen der Kommunisten und beim „Bund der Reformkräfte“, einer Partei, die von Ministerpräsident Ante Markovic ins Leben gerufen wurde und an einer gesamtjugoslawischen Perspektive festhält, Katzenjammer. Die Kommunisten erhielten zwar in Sarajewo selbst 15 Prozent, doch im Lande pendelten sie sich um die zehn Prozent ein. Und die Markovic-Partei ist mit ihren acht Prozent vorläufig aus dem politischen Spiel. Einziger Trost für die Geschlagenen ist die niedrige Wahlbeteiligung von 53 Prozent der Wähler. „Wir konnten unser Potential nicht mobilisieren, aber es ist vorhanden“, heißt es bei den Kommunisten und Markovic-Anhängern. Doch für den zweiten Wahlgang am 2. Dezember in den Wahlkreisen, in denen kein Kandidat die absolute Mehrheit erringen konnte, stehen die Chancen selbst nach Ansicht der Mitarbeiter beider Parteien schlecht. Und auch in den 80 Wahlkreisen, wo es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll.

Wie geht es jetzt weiter? „Wir müssen versuchen, die kroatische Partei wie auch die serbische Partei zu einer Koalition zu bewegen“, lautet die Konsequenz bei der muslimanischen Partei der Demokratischen Aktion. Denn nur mit einer „nationalen Koalition“ könne der Bestand Bosniens garantiert werden. Sie ist zu weitgehenden personellen Zugeständnissen innerhalb eines nationalen Proporz bereit. Haben die Kroaten unter ihrem Vorsitzenden Klujic schon ihre Bereitschaft signalisiert, einer solchen Koaltion beizutreten, so tun sich die Serben schwerer; denn die Stimmung in der serbischen Bevölkerung und die Propaganda aus Belgrad tendiert in Richtung eines Anschlusses an Serbien. Bosnien jedoch aufzuteilen, kommt für die Muslimanen nicht in Frage. Und sie, so lassen sie erkennen, würden mit „aller Macht für die Integrität Bosniens kämpfen“. So haben die Führer der „Serbischen Demokratischen Partei“ den politischen Schlüssel über die Zukunft Bosniens nun in ihrer Hand.