Bald Grüne Grenzen für EinwanderInnen?

Nächste Woche werden die Grünen erstmals öffentlich für und gegen Quoten für ImmigrantInnen streiten/ Standpunkte stehen sich unversöhnlich gegenüber/ Trenz: „Planbarkeit der Einwanderungspolitik“/ Scheurer: „Politisch fatale Ausgrenzung“  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Findet es statt? Findet es nicht statt? Wenn es stattfindet, wann? Vor dem zweiten Dezember? Oder später? Nach monatelangem heftigem innergrünen Gerangel ist nun seit kurzem sicher: kommenden Montag erwägen von der Grünen Bundestagsfraktion geladene Sachverständige in Bonn, ob Deutschland ein Gesetz braucht, das die Einwanderung von AusländerInnen regelt — sprich: unter anderem begrenzt. Damit wird erstmals öffentlich ein ehernes Prinzip grüner Politik in Frage gestellt: das der offenen Grenzen für alle, die aus anderen Ländern hierher kommen wollen.

Noch vor wenigen Wochen hatte es so ausgesehen, als würden jene Grüne Oberhand gewinnen, die gegen eine solche Anhörung sind. Vor allem die „Bundesarbeitsgemeinschaft ImmigrantInnen und Flüchtlinge“ der Partei protestierte mehrheitlich gegen dieses Vorhaben von Mitgliedern der Bundestagsfraktion. „Vor dem Hintergrund der momentan politischen Gesamtsituation [...] halten wir es für politisch falsch, nun [am Ende der Legislaturperiode und kurz vor der Wahl; F.F.] mit einer Debatte über Kontigentierungsmöglichkeiten aufzuwarten.“ Dies schrieben Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft Mitte Oktober an den Grünen Bundesvorstand. Überdies, kritisierten sie, dürfe nur die Partei — etwa auf einem Parteitag —, nicht aber die Fraktion „neue Einschnitte in der Grünen ImmigrantInnenpolitik“ vornehmen.

Erika Trenz, für AusländerInnenpolitik zuständige Grüne Bundestagsabgeordnete und das Bundesvorstandsmitglied Ozan Ceyhun mochten die Klage über den Zeitpunkt der Anhörung nicht gelten lassen: „Gerade jetzt, gerade vor der Bundestagswahl“, sagt Ozan Ceyhun, müßten die Grünen Mut beweisen indem sie öffentlich darüber nachdächten, wie Einwanderung „sozial gestaltet“ werden könne. Und Erika Trenz ergänzt, sie wolle mit der Diskussion nicht warten, bis die anderen Parteien Einwanderungsgesetze vorlegten, „die den Zuzug von ImmigrantInnen in unvorstellbarem Ausmaß beschränken“. Den Grünen Fraktionsvorstand im Rücken, setzten die beiden sich gegen KritikerInnen der Anhörung durch.

Vor der Wahl oder nach der Wahl, mit dem Segen der Partei oder ohne: Die formalen Argumente von BefürworterInnen und GegnerInnen der Anhörung sind vorgeschoben. Den Blick auf den tiefen Graben, der zwischen den inhaltlichen Standpunkten beider Seiten liegt, können sie nicht verstellen. Erika Trenz, Parteimatadore wie Joschka Fischer, das Bundesvorstandsmitglied Ozan Ceyhun und andere Grüne — sie wollen nicht nur, daß öffentlich darüber diskutiert wird, ob Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht, das es eben auch zuläßt, EinwanderInnen zu kontingentieren. Sie wollen ein solches Gesetz. Etwa Erika Trenz: Um Einwanderungspolitik „durchschaubar und vorausplanbar“ zu gestalten, streitet sie in der Partei seit geraumer Zeit für ein Konzept, nach dem PolitikerInnen zusammen mit Hilfsorganisationen festgelegen könnten, wieviele ZuwanderInnen jährlich hierherkommen dürfen. Zwar fordert sie solche Quoten nur für ArbeitsimmigrantInnen — Menschen also, die nach Deutschland kommen, um hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zwar müssen, so ihre Idee, gleichzeitig die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen ausgebaut werden. Zwar will sie parallel die soziale Situation der EinwanderInnen verbessert sehen. Dennoch setzen sich Erika Trenz und ihre MitstreiterInnen über den Beschluß der Grünen vom Münsteraner Parteitag von 1989 hinweg: Es gilt das Prinzip der offenen Grenzen. „Münster“, sagt Erika Trenz, „hat mit der Realität nichts mehr zu tun.“

„Münster ist eine Utopie, die konkretisiert werden muß“, meint dagegen Franz Scheurer. Scheurer, Mitglied des grünen Bundeshauptausschusses und Sprecher der GAL Hamburg für Flüchtlingspolitik und AussiedlerInnenfragen, ist einer der schärfsten Kritiker des Projektes Grünes Einwanderungsgesetz. „Es beeinhaltet die falsche Aussage, das Boot sei voll. Es wirkt nationalstaatlich und grenzt aus. Es ist politisch fatal“, sagt er. Franz Scheurer plädiert statt dessen etwa dafür, die Flüchtlings- und Einwanderungsfrage zu entstaatlichen. Eine grüne Anhörung zu dem Thema mitten in der heißen Phase des Wahlkampfes hält er für „selbstmörderisch“ — und nimmt doch als Referent teil, um „die Befürworter in eine inhaltliche Auseinandersetzung zu zwingen.“

So wenig versöhnlich beide Seiten in der Sache sind: Für äußerst bedeutend halten sie sie gleichermaßen. „Wenn weiterhin 70 Prozent der Grünen gedanklich nicht weiterkommen als bis zum Dogma offene Grenzen, geben sie die Partei an einem entscheidenden Punkt auf.“ Das sagt Erika Trenz. Und Franz Scheurer meint: „Setzen sich jene durch, die ,Einwanderungsgesetz‘ sagen und eigentlich meinen, mehr Menschen aus außereuropäischen Länder vergiften die Atmosphäre, dann wird's für die Grünen prekär. Dann ist für viele in der Partei die Schmerzgrenze überschritten.“