Gladio — das unbekannte Wesen?

■ Arbeit des Nato-Geheimdienstes in der BRD kaum überprüfbar/ 1968 erteilte Karl Carstens Dienstanweisung als rechtliche Grundlage/ Bonner PKK fühlt sich übergangen

Berlin (taz/dpa) — Eigentlich sollte sie gestern erstmalig über die Tätigkeit des Nato-Geheimdienstes Gladio in der BRD informiert werden, die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK). Statt dessen erfuhren die Mitglieder jenes Gremiums, das die Arbeit der Geheimdienste überwachen soll, vor allem, daß dieser „Dienst“ auch nachträglich kaum kontrollierbar ist: Über die Arbeit von Stay behind — so die Bezeichnung für den deutschen Arm der Nato-Schnüffler — fehlen schlicht die Unterlagen. Von der Gründung der Truppe in der unmittelbaren Nachkriegszeit bis 1977 existiert angeblich keine einzige Akte. Kein Wunder, daß der FDP-Bundestagsabgeordnete und Mitglied der PKK, Burkhard Hirsch, feststellte: „Was wir gehört haben, war mehr merkwürdig als rechtswidrig.“

Trotz dieser miserablen Quellenlage will der Staatsminister im Bundeskanzleramt und zugleich Koordinator der Geheimdienste, Lutz Stavenhagen, ganz genau wissen, daß „Stay behind zu keiner Zeit innenpolitische Aktivitäten entfaltet hat“. Das jedenfalls versicherte er gestern den PKK-Mitgliedern und der Presse. Es habe nie irgendwelche Beziehungen zu extremistischen Gruppierungen gegeben und schon gar nicht hätten jene Todeslisten existiert, auf denen unter anderem der Name von Herbert Wehner gestanden haben soll. Verbindungen zwischen Stay behind und Rechtsextremisten habe es nie gegeben. Die Stay behind-Leute hätten sich „gesetzmäßig im Sinne des Auftraggebers“ bewegt, sagte Stavenhagen.

Dieser „Sinn des Auftraggebers“ ist nachzulesen in einer Dienstanweisung, die der damalige Chef des Kanzleramtes und spätere Bundespräsident Karl Carstens 1968 erteilte. Die, laut Stavenhagen, allgemeine Dienstanweisung beauftrage den BND, Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen und sei zugleich die „rechtliche Grundlage“ für die Tätigkeit von Stay behind.

Damals existierte die ominöse Organisation freilich schon seit mindestens zwei Jahrzehnten. Aus der Anfangszeit von Stay behind stammen offensichtlich auch die Pläne, neben der nachrichtendienstlichen Tätigkeit tatsächlich auch sogenannte, „Résistance-Gruppen“ zu bilden oder zu unterstützen. Welche Aufgaben diese Gruppen haben sollten, wurde nicht deutlich.

Unklar blieb auch, wieviel Carstens von dem Vorleben der Organisation wußte, als er seine Dienstanweisung schrieb. Ebenso nebulös ist noch, wieviel die nachfolgenden Bundesregierungen — von CDU, über SPD bis FDP — von dem untergründigen Treiben wußten. Die gestrige PKK-Sitzung jedenfalls brachte den SPD-Bundestagsabgenordneten und PKK—Mitglied Emmerlich zu der Ansicht, daß es „keinen Grund zur Geheimhaltung gibt“.

Schnellstens muß nach Meinung Emmerlichs und zahlreicher anderer PKK-Mitglieder die Stay behind- Truppe aufgelöst werden. Für den Plan der Bundesregierung, die Geheimorganisation aus dem Kalten Krieg bis ins kommende Frühjahr beizubehalten, gebe es nur „technische Gründe“. Die aber hält der Parlamentarier für „wenig überzeugend“. Sein Vorschlag: Die Agenten von Stay behind sollen ihre Geräte sofort an den BND zurückgeben. Ausgerechnet der BND soll die Funkgeräte dann „für wohltätige Zwecke“ verwenden Dorothea Hahn