Das Ende des „Thatcherismus“
: Der Schwamm ist ausgepreßt

■ The game is over. Die andere Seite der viktorianischen Modernisierung ist nicht länger zu übersehen.

Den häßlichsten Kranz legte ihr eine Verehrerin ans politische Grab, die sich schon vor gut zwei Jahren von Margaret Thatcher zurückgezoen hatte: die Londoner City, das Bank-, Börsen- und Versicherungszentrum Großbritanniens. Die Nachricht von ihrem Rücktritt habe unmittelbar zu „euphorischen“ Reaktionen geführt, wurde aus der Finanzmetropole berichtet: Der Aktienmarkt schoß in die Höhe, und das Pfund Sterling legte gleich um zwei Pfennig zu. Später gaben die Kurse zwar wieder etwas nach, aber das Signal war eindeutig: Die City ist froh, daß sie Thatcher los ist.

Zwar hat vor allem ihre Europa- Politik für den Liebesverlust gesorgt, aber der Eindruck der Schein- Genesung, für den der Thatcherismus über einige Jahre gesorgt hat, war nicht mehr aufrecht zu erhalten. Die Inflationsrate liegt bei 10,7 Prozent, der höchsten unter den Industrienationen. Die vergeblichen Anstrengungen, die Geldentwertung mit einer Erhöhung der Zinsen zu bekämpfen, hat für die zahlreichen HausbesitzerInnen zu rekordhohen Hypothekenkosten geführt. Zugleich befindet sich das Land unmittelbar vor oder schon in der Rezession.

In diesem Jahr soll die Inlandsnachfrage um ein halbes Prozent zurückgehen. Zwar produzierte, auch durch das Nordsee-Öl und dank der Privatisierungserlöse, der Haushalt Jahr für Jahr Überschüsse, mit denen die Staatsverschuldung gesenkt werden sollte. Gleichzeitig sorgte aber die eigene Hochzinspolitik dafür, daß die Überweisungen an die City- Banken immer fetter werden mußten. Das Rekord-Minus in der Handelsbilanz von 23 Milliarden Pfund (1989) schließlich gibt eine Vorstellung davon, wieviel Waren importiert wurden, anstatt im Lande angefertigt zu werden. Kein Wunder, daß die mit allerlei statistischen Tricks heruntergerechnete britische Arbeitslosenzahl in der verarbeitenden Industrie wieder im Steigen begriffen ist.

Viel bleibt nicht in der Erfolgsbilanz des „Thatcherismus“, der zwar keine Theorie, aber als ideologischer Schwamm gut zu gebrauchen war. „Meine Politik“, räumte sie selbst ein, „beruht nicht auf einer ökonomischen Theorie, sondern auf den Dingen, mit denen ich wie Millionen andere großgeworden bin: Ein ordentlicher Lohn für ein anständiges Tagewerk; nicht über die Verhältnisse leben; einen Notgroschen für schlechte Tage beiseitelegen; die Rechnungen pünktlich bezahlen; die Polizei unterstützen.“

Und mit der Aufkündigung des krisengeschüttelten britischen Sozialstaatskonzepts Ende der Siebziger hatte die derart individualisiert Denkende ihre Alternative bei der Hand: Die Macht des entfesselten Marktes, der es, sozusagen per saldo, nach dem Vermögen eines jeden Einzelnen schon richten wird. Selbst aus kleinen Verhältnissen aufgestiegen, konnte bei solcherart Denken der politisch-ökonomische Tritt nach unten und die fiskalischen Belohnungen für Mittel- und Oberschicht nicht ausbleiben. Zwar ist die Mittelschicht, von den Hypothekenzinsen einmal abgesehen, nicht unbedingt ein Opfer des Thatcherismus geworden — aber die Unterklasse ist wieder stark angeschwollen.

Volkskapitalismus durch künstlich verbilligte Aktien aus der größten Privatisierungswelle der Geschichte ergänzt sich so mit der Umstrukturierung des Sozialsystems und der Verarmung ganzer Stadtviertel oder dem katastrophalen Zustand des Bildungs- und Gesundheitssystems. Armut, die Armut bleibt, ist ihr eine Schuld-, keine Systemfrage. Und so zog sich neben den Kapitalismusvorstellungen eines Adam Smith immer auch eine Spur von Sozialpoltik à la Charles Darwin durch ihr Alltagsgeschäft: Wer, im Gegensatz zu ihr, den Aufstieg nicht schafft, blieb auch in der neuen britischen Konkurrenzgesellschaft am Boden.

An der Reaktion der Börse ist allerdings keinesfalls abzulesen, daß die City auf ein Ende der konservativen Herrschaft hofft. Im Gegenteil: mit dem Anziehen der Kurse wurden die verbesserten Aussichten auf einen Wahlerfolg der Tories honoriert. Die garantieren den die Mittelklasse schonenden Ausweg aus der Krise natürlich allemal besser als die Labour Party. diba