Der Börse blieb der Jubel im Halse stecken

■ Nationale und internationale Reaktionen auf die Nachricht vom Rücktritt Margaret Thatchers

Die Londoner City hat auf die Nachricht von Margaret Thatchers Rücktritt am Donnerstag zunächst euphorisch reagiert. Pfund- und Aktienkurse schnellten in die Höhe: Der Financial-Times-Index legte sofort 34 Punkte zu, das Pfund Sterling stieg um fast zwei Pfennig auf 2,93 DM.

In der City wurde sogar auf eine schnelle Zinssenkung spekuliert, um sicherzustellen, daß die Wirtschaft unter einem neuen Premierminister auf Erfolgskurs steuert. Allerdings dämpfte die Nachricht weiterer Nominierungen für den Vorsitz der Partei — von Außenminister Douglas Hurd und Schatzkanzler John Major — wenig später diesen Höhenflug. Die Euphorie gründete sich in erster Linie auf die Hoffnung, daß Frau Thatchers Rücktritt wieder Ruhe in die Partei und die Regierungspolitik bringen und den Konservativen zu einem weiteren Wahlerfolg verhelfen werde. In der Tatsache, daß zwei weitere Kandidaten für das Amt des Premierministers bereitstehen, sieht die City allerdings ein unwillkommenes Hinauszögern der Unsicherheit über den künftigen Regierungskurs. Gegen Mittag stabilisierte sich das Pfund bei 2,92 DM, der Börsenindex lag am Mittag nur rund zehn Punkte über dem Schlußkurs vom Dienstag.

Je nach Parteizugehörigkeit haben Politiker in Bonn mit Lob oder Tadel auf den Thatcher-Rücktritt reagiert. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel begrüßte den Rücktritt. Er zeige, „daß eine Politik, die rücksichtsloses Gewinnstreben zur gesellschaftspolitischen Maxime erhebt, am Ende dieses Jahrhunderts in Europa nirgendwo mehr eine Chance hat“. Jeder Versuch, sich der Einigung Europas entgegenzustellen, sei zum Scheitern verurteilt. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger erklärte, Frau Thatcher habe nicht nur für Großbritannien, sondern auch für die Solidarität des Westens in der historischen Auseinandersetzung um Freiheit und Demokratie große Verdienste erworben. Gescheitert sei sie an ihrer Europapolitik. Der FDP- Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff würdigte Margaret Thatcher als eine „bemerkenswerte Persönlichkeit“, wie immer man auch im Einzelfall zu ihren politischen Ansichten gestanden haben möge. Frau Thatchers großes Verdienst sei die Konsequenz, mit der sie die Marktwirtschaft in Großbritannien als die mit Abstand effektivste Wirtschaftsform zum Maßstab ihrer Politik gemacht habe. Der europapolitische Sprecher der FDP, Ulrich Irmer, hoffte, daß Großbritannien nun „vom Bremser zu einem der Schrittmacher" in der Gemeinschaft werde.

US-Präsident George Bush wurde über den Rücktritt der britischen Premierministerin Margaret Thatcher während seines Truppenbesuchs in Saudi-Arabien informiert. Wie in Washington mitgeteilt wurde, wollte er sie noch am Donnerstag oder am Freitag anrufen. Der Sprecher des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, habe Frau Thatcher als guten Freund der USA bezeichnet. Washington gehe davon aus, daß Großbritannien in der Golfkrise weiterhin ein fester Verbündeter der USA bleibe.

Frankreich erwartet nach dem Rücktritt der britischen Premierministerin von der britischen Regierung eine flexiblere Haltung in der Europapolitik. Außenminister Dumas erwartete hingegen, daß keine Änderung in der Haltung Großbritanniens zur Golfkrise eintreten werde. Da die Europapolitik bei der innerparteilichen Debatte der Konservativen im Mittelpunkt gestanden habe, ist nach Auffassung von Dumas auf diesem Gebiet eine konziliantere Haltung zu erwarten.

Der niederländische Ministerpräsident Lubbers und Außenminister van den Broek sagten, der Rücktrittsentschluß Thatchers verdiene Respekt. Beide betonten, daß sie in den Jahren, in denen sie die britische Politik bestimmt habe, schwierigen Entscheidungen nicht aus dem Wege gegangen sei. Der spanische Ministerpräsident Gonzalez sagte seinen für Anfang nächster Woche geplanten Besuch ab. Er hatte mit Thatcher über die Rückgabe der britischen Kolonie Gibraltar an Spanien verhandeln wollen. Sf