Rechte Brandflaschen versus linke Steinwürfe

■ Lange ließen sich Haller Autonome durch Angriffe von Rechtsradikalen nicht provozieren, jetzt gibt's Zoff

Berlin (taz) — In Halle an der Saale reicht es schon aus, wenn man sich „Das Autonome Haus“ nennt. Der Zusatz „in der Reilstraße“ erübrigt sich — es gibt nur dieses eine besetzte Haus in der Stadt. Seit März gilt das „Autonome“ als einer der wenigen Treffpunkte der Linken und Autonomen, beinahe ebensolange ist es auch bevorzugtes Angriffsziel rechtsradikaler Gruppen der Stadt.

In den ersten Wochen der Besetzung konnte eine Erstürmung mehrmals verhindert werden, allerdings nur mit Hilfe der Polizei. Fast wöchentlich gingen neue Gewaltdrohungen vor allem gegen das im Erdgeschoß gelegene „AntiFA- Café“ ein. Ab und zu flogen Steine. Das AntiFA verbarrikadierte sich schließlich und wurde zu einer Festung mitten in der Innenstadt. Verträge für das Haus haben die BesetzerInnen bis heute nicht, eine Räumung durch die Polizei wäre aber inzwischen nur noch nach einem entsprechenden Gerichtsbeschluß möglich. Die Stadtverwaltung jedoch schien lange keine Anstalten zu rechtlichen Schritten machen zu wollen.

In den vergangenen Wochen eskalierte jedoch die Situation: Mehrmals wurde das „Café NÖÖ“, ein professionell betriebener alternativer Treff für Bürgerbewegte, Grüne, Punks und linke Autonome, das sich im Parterre des halleschen Reformhauses befindet, von überwiegend jugendlichen Fußballfans überfallen. Die Scheiben der großen Fensterfront wurden zerschlagen, Autoreifen zerstochen und Gäste verprügelt. Allein in der Nacht der deutschen Einheit kamen die Kahlen dreimal rollkommandoartig vorbei und zerschlugen, was ihnen in die Finger geriet. Doch die Gewalt blieb einseitig. Skins, Faschos und gewaltbereite Fußballfans, von denen viele nicht übers Teenie-Alter hinaus sind, droschen zwar immer wieder auf die Gegenseite ein, aber die Mieter des Reformhauses, Leute von der SPD, vom Neuen Forum und die Autonomen vom „NÖÖ“-Café, setzten auf Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei und vernagelten die Fenster.

Für knapp zwei Wochen war Ruhe. Die Polizei bewachte das „NÖÖ“, die Angreifer ließen sich nicht mehr blicken. Doch am zweiten November marschierten im Anschluß an eine friedliche Demonstration gegen die Gewalt der Neonazis drei- bis vierhundert Autonome zum Jugendklub „Roxy“ in die hallesche Neustadt, um sich eine halbe Nacht lang eine Schlacht zu liefern mit drei Dutzend bomberbejackten Glatzköpfen und der ziemlich hilflos durchs Dunkle irrenden Polizei. Der vorläufige Höhepunkt der sich wechselseitig hochschaukelnden Krawalle in Halle aber fand erst am zweiten Novemberwochenende statt. Die hallesche Hooligan- und Skinhead- Szene bließ zum Gegenschlag - nicht gegen das immer noch polizeilich behütete „Café NÖÖ“, sondern wieder mal gegen das autonome AntiFA-Haus in der Reilstraße. Diesmal flogen Brandflaschen und wurde gezielt mit Gaspistolen geschossen. Vom AntiFA- Haus wurde vom Dach aus mit Steinwürfen geantwortet, mit Feuerwehrsraketen und Wassergüssen aus den oberen Etagen. Die Polizei griff erst ein, als die Schlacht schon entschieden war und alle Angreifer geflohen waren. Etliche Verletzte und Festgenommene wurden später gemeldet. Aber da war man im AntiFA schon wieder kräftig dabei, neue Wurfgeschosse aufs Dach zu tragen. Und im „Roxy“, dem Schickimicki-Klub am Stadtrand, der früher auf den wunderbaren Namen „XII. Parlament der FDJ“ hörte, war Disko. Warum auch nicht? Steve Körner