: „Im Tempel der Literatur“
■ Uwe Springfeld, Bremer Autor, studierte am Johannes R.Becher Institut in Leipzig
hierhin bitte das
Porträt des Mannes
mit weißem Hemdkragen
Uwe SpringfeldF.: M.Hetzer
In Bremen schmorte er „im eigenen Saft“; da fehlte ihm „der literarische Austausch“. Uwe Springfeld (Jg.'56, Diplomphysiker, Bremer Autor, Veröffentlichung: „Schreibspiele“, Dumont '89) fühlte sich nicht mehr wohl in seiner literarischen Haut. Seine Blicke richteten sich — die Mauer stand noch — sehnsüchtig gen Osten. Da gab es in Leipzig ein Institut, „da lernste Schreiben“, einen „Tempel der Literatur“: das Johannes R. Becher Institut für Literatur. Da wollte er hin.
Am 4.Januar '90 stand Springfeld in der ehemaligen Hirschfeld- Villa auf der Matte. Und es klappte. Zunächst ein Workshop im Mai, dann, ab Oktober, ein „Sonderkurs“ (entspricht dem Meisterkurs der Kunstakademien): ein einjähriger Weiterbildungskurs für Schriftsteller, die — Zugangsvoraussetzung — schon veröffentlicht haben müssen. Bezahlt wird das ganze aus dem maroden Ex-DDR-Kulturhaushalt, dessen Existenz vorerst nur bis Dezember gesichert ist. Uwe Springfeld als einer der ersten offiziellen Westler am Institut hat jetzt einen DDR-Studentenausweis und bekommt ein Stipendium von 500 DM, was dem dortigen Mindestsatz für Arbeitslose entspricht.
Das Institut: 1955 gegründet, um die „literarische Meisterschaft“ zu lehren in einer „lebendigen und vielgestaltigen sozialistischen Literatur“, erhielt die staatlich anerkannte Kunsthochschule 1959 den Namen des damaligen Kulturministers Johannes R.Becher. Im Direkt- und Fernstudium und Sonderkursen geht es neben der Literatur (in „Werkstätten“) um das Studium wissenschaftlicher Fächer. Deshalb hat die Schule für ca. 60 StudentInnen Dozenten für Psychologie, Ökonomie, Musikgeschichte, Biologie. Und hatte, bis vor kurzem, Lehrer für Marxismus-Leninismus.
Eine Woche im Monat ist Uwe Springfeld jetzt in Leipzig, wohnt bei einer Dozentin, läßt sich mit der Hirnforschung — Stand 60er Jahre — langweilen und von einem Mitarbeiter Biedenkopfs die Marktwirtschaft erläutern. Spannend wird es in den Pausen: Da dreht es sich um (weggefallene) Schreibanlässe für oppositionelle Literaten; darum, was Literatur ausrichten kann und 40 Jahre lang nicht ausgerichtet hat. Über die Geschichte des Instituts wird gesprochen, Sarah Kirsch bekam ein miserables Abschlußzeugnis, Helga Nowak flog von der Schule...
In der „Werkstatt“ endlich ist der Text das Thema, es wird gelesen, diskutiert, hart kritisiert, formal und inhaltlich. Da werden idyllisierende Reisebeschreibungen durchleuchtet und Gestriges wie ein ironischer Stasi-Text mit Zwischenzeilenkritik. Vor zwei Jahren wäre das noch als „Widerstand“ durchgegangen. Bis in die Kritik des Gebrauchs des bestimmten Artikels geht's dabei.
Springfelds Zwischenbilanz: Er wird „geistig erfrischt“ dort, sein „Blick wird freier“. Und auch dem „Fachunterricht“ kann er etwas abgewinnen: Einen Blick in eine Fachzeitschrift zu werfen, nicht wahr, kann auch dem Literaten nur nützen. Aber die Sorge bleibt: Wie lange gibt's das Johannes R.Becher Institut noch nach dem Ende des DDR-Kulturhaushalts?
Burkhard Straßmann
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