BERLINER RING
: "Da können sich so einige verabschieden"

■ In Ferch hat sich kaum was verändert: Möbel werden gekauft und das "Pyramidenspiel" verdirbt Dorfbewohnern die Laune

Ferch. Nur als Autobahnausfahrtsschild kurz hinter der ehemaligen Intertank-Raststätte Michendorf kennt das Gros der Tramps, Fern- und Vielfahrer seit Jahren den kleinen Ort Ferch. Eine tausendjährigen Eiche und neunhundert Fercher — weiter nichts. Auch umgekehrt war es das gleiche gewesen. Die Dorfbewohner wußten von all den westlichen Turboporsches und Klapperenten nur, daß sie stinken und bis ins Schlafzimmer lärmen — weiter nichts. Daran hat sich auch heute nur geändert, daß die Fercher jetzt selbst öfter auf die Autobahn preschen, um auf die schnelle im 30 Kilometer entfernten Stauparadies Berlin steckenzubleiben oder um dort eine neue Couchgarnitur zu bestellen, die es in Potsdam so billig nicht gibt.

Sparsam sind die Dörfler am südlichsten Zipfel des Schwielowsees immer gewesen. Selbst Theodor Fontane bescheinigte im letzten Jahrhundert den Ferchern eine spartanische Lebensweise. Damals hatten noch Fischfang und Obstanbau für Flut oder Ebbe in der Haushaltskasse gesorgt. Heute ist der See zum Fischen schlichtweg zu dreckig. »Wenn du drin badest, kriegste entweder 'ne Schuppenflechte oder 'ne Bindehautentzündung«, meint Einwohner Jörg. Er ist in Ferch geboren und hat den Niedergang von Wasser- und Waldidylle in den letzten Jahrzehnten hautnah erlebt. »Früher waren die Wiesen immer feucht, der See kam fast vor die Haustür«, erinnert sich der Zivildienstleistende, der noch bei seinen Eltern wohnt. »Dann wurden 150 Meter tiefe Trinkwasserbrunnen für Potsdam gebohrt. Seitdem ist hier in der Gegend alles knochentrocken.«

Zu sehen sind die Umweltprobleme in Ferch nur auf den zweiten Blick. Dichte Eichenwälder und der idyllische Blick über den Schwielowsee nach Potsdam verzücken die Urlauber und Ausflügler aus Berlin wie eh und je. Urlaubswillige Werktätige aus der ganzen Republik fielen alljährlich in das schmucke Dorf ein, um zwischen Autobahn und Havelausläufer die Beine hochzulegen. Betriebseigene Datschenkolonien in und um Ferch sorgten für Heim und Herd. »Doch dieses Jahr war der Tourismus ziemlich mager«, ist Bürgermeister Thomas Hartmann auch im November noch enttäuscht. Die ehemaligen DDR-Urlauber zogen gen Adria oder Costa Brava. Dabei sind vor allem die Restaurants und Kneipen in Ufernähe auf regelmäßige Besucherströme angewiesen. Ein baufälliges Ferienheim am See, das jetzt die Treuhandgesellschaft verwaltet und das einem Hotel Platz machen soll, ist aber immer noch nicht abgerissen. »Wenn die Treuhandgesellschaft nicht alles lahmlegen würde, wären hier die Bauarbeiten schon längst im Gange«, grummelt der schlaksige SPD-Mann. Kaufangebote gebe es gleich mehrere. Sogar ein Plan über die Ufergestaltung liege schon vor — aber ganz im Sinne des Naturschutzes. Eichen und Kastanien vor dem FDGB-Heim dürfen aufatmen.

Nicht jedoch die »Milchbar«, letztes Überbleibsel im abbruchreifen Gewerkschaftsfossil. Ab Dezember ist hier der Zapfhahn dicht, und auch die Fercher Billiardgemeinschaft muß sich einen neuen Tisch suchen. Nicht nur zu Touristenzeiten ging im biederbürgerlichern Interieur der »SPD-Kneipe« — wie sie heute im Dorf genannt wird, weil der Wirt sich in der gleichnamigen Partei stark macht — wochenends die Post ab. Bei gehobenem Alkhol- und Lärmpegel musizierten die Alten und Jungen schon mal einträchtig mit Tortenblechen und Kochlöffeln, um im nächsten Augenblick wieder an den Billardtisch zu schwanken und der Kunst des Kegelbillards zu frönen. Jetzt, kurz vor Kneipenschluß, sind die Saufbrüder nicht mehr ganz so ausgelassen. Vor allem das »Pyramidenspiel«, auch »General-« oder »Flugzeugspiel« genannt, hat ihnen die Laune verdorben. »3.000 Märker sind futsch, weil niemand mehr mitmachen will«, jammert ein Dorfjüngling und guckt verstohlen umher, ob er nicht doch noch ein zahlungskräftiges Opfer fände. »Hab' ick ja jleich jesacht, allet Humbuk«, meint die Wirtin schadenfroh. Ganze Nachbarschaften hätten sich durch das Glücksspiel verkracht. »Die haben sich viel verschuldet und können jetzt nüscht zurückzahlen.« Im Nachbarort habe sogar neulich jemand seinem Nachbarn aus Wut das Auto angezündet. »Da können sich so einige demnächst hier verabschieden«, sagt die Wirtin nüchtern und meint nicht nur sich selbst. Christine Berger