Luftbrücke nach Wolgograd

■ Die Berliner wollen helfen, die Versorgungskrise in der Sowjetunion zu mildern/ Joint-venture von Roter Armee und Neuköllner Gemeinde/ Karitative Organisationen: Strukturen müssen geschaffen werden

Berlin. Durch Berlin rauscht eine Spendenwelle, die die karitativen Organisationen regelrecht überrollt. Alarmiert von Berichten über leere Regale und eine drohende Hungerkatastrophe wollen die Berliner der Sowjetunion helfen. Die Spendenbereitschaft ist eine Bewegung von unten, von niemandem koordiniert, und die anfallenden strukturellen Probleme sind nicht im entferntesten gelöst. Ein sensationelles Joint-venture hat dabei die evangelische Kirchengemeinde Martin Luther in Neukölln auf die Beine gestellt. Sie wird ihre Spenden mit Hilfe der in der ehemaligen DDR stationierten Truppen der Roten Armee nach Wolgograd transportieren. Der Gemeindepfarrer Dieter Spanknebel erhielt jetzt die Zusage des stellvertretenden Kommandeurs des Oberkommandos der (ehemaligen) DDR, Generalmajor Charecin, daß die Hilfsgüter mit Militärflugzeugen direkt vom Militärflughafen nahe Wünsdorf nach Wolgograd eingeflogen werden können. Beginnen könnte die Luftbrücke sofort. Begleitet werden könnten die Hilfsflüge der Roten Armee von Vertrauenspersonen aus Berlin. Spanknebel ist überzeugt, daß auch andere Organisationen sich der Hilfe der sowjetischen Soldaten versichern können, man »muß sie nur fragen«. Denn die Rote Armee sei durchaus interessiert, auf diese Weise Imagepflege zu betreiben.

Die Neuköllner Gemeinde sammelt vor allem Geldspenden. Die ganze Hilfsaktion läuft in enger Zusammenarbeit mit Bürgern von Wolgograd, früher Stalingrad genannt. Zwischen der Kirchengemeinde und der Stadt gibt es schon seit Jahren gute Kontakte und rege Austauschbesuche.

Riesige Spendenbereitschaft registrieren auch die großen karitativen Verbände. Hunderte von Berlinern rufen täglich beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) an, berichtet die Pressesprecherin Eva-Maria Wehling, und erbitten Adressen von sowjetischen Privatleuten, die sie mit Milchpulver, Zucker und Schokolade bescheren können. Dringend warnt das DRK vor solchen Einzelpäckchen, denn viele Lebensmittel dürfen nicht in die SU verschickt werden, und ungewiß ist, ob die bedachten Familien den horrend hohen Einfuhrzoll überhaupt bezahlen können. »Ohne sichere Strukturen, die erst aufgebaut werden müssen«, sagt Wehling, »läuft die Hilfsbereitschaft ins Leere.« Das DRK will keine spezielle Berliner Hilfsaktion, sammelt aber Geldspenden für Lebensmittel über das Sonderkonto in Köln. Über den Transport verhandelt die DRK- Spitze gerade in Moskau.

Auch der Berliner Caritasverband und das Diakonische Werk sammeln Geldspenden für die Sowjetunion. Vorgesehen ist der Versand von normierten 10-Kilo-Familienpaketen mit wichtigen Grundnahrungsmitteln. Geplant sind zunächst Lieferungen nach Armenien und in die baltischen Republiken. Das Diakonische Werk hat in Armenien seit der Erdbebenhilfe vor zwei Jahren funktionierende Strukturen. aku

Spenden über die Martin-Luther- Kirche: Stichwort Wolgogradhilfe, Postscheckkonto 18443-103