Messer aus Notwehr gezogen?

■ Tod in der S-Bahn: Nach Angaben eines Zeugen waren Deutsche mit Pistolen bewaffnet/ Ayhan Ö. wurde bedroht, bevor er zustach

Berlin. Der zur Zeit in U-Haft sitzende 21jährige Ayhan Ö. hat möglicherweise aus Notwehr gehandelt, als er den 20jährigen Rene G. vor einer Woche in der S-Bahn tödlich mit einem Messer verletzte. Die Schilderungen eines von der taz befragten Augenzeugen legen diesen Schluß jedenfalls nahe. Nach seinen Aussagen war die Gruppe der Deutschen mit Pistolen bewaffnet. Bevor Ayhan Ö. sein Messer gezogen habe, hätten zwei Deutsche ihn mit Handfeuerwaffen bedroht. Die Mordkommission hat bisher keine Angaben darüber gemacht, ob die Deutschen bewaffnet gewesen sind.

Der Vorfall ereignete sich am Freitag vor einer Woche gegen 22 Uhr 30 in Berlin-Marzahn. Der schon etwas angetrunkene Ayhan Ö. war mit zwei türkischen Freunden — darunter auch der von der taz interviewte Augenzeuge —, seiner deutschen Freundin und einer weiteren jungen Deutschen am Bahnhof Marzahn in die S-Bahn eingestiegen, um zum Alexanderplatz in eine Disko zu fahren. Sein Auto hatte er vor der Wohnung seiner Freundin stehenlassen. Am S-Bahnhof Springpfuhl betrat eine größere Gruppe junger Deutscher den Wagen. Sie erkannten die Freundin von Ayhan Ö, weil sie in Ost-Berlin mit ihnen gemeinsam zur Schule gegangen war. Dann begannen sie, die jungen Leute mit dem sogenannten Hitlergruß und ausländerfeindlichen Parolen zu provozieren. Die Türken blieben zunächst ruhig. Ein Freund von Ayhan setzte sich auf dessen Schoß, um ihn »ruhig zu halten«, wie er gegenüber der taz erklärte. Dann sei Ayhan von einem Deutschen mit dem Fuß gegen den Kopf getreten worden. In diesem Moment habe ein anderer junger Deutscher eine Pistole gezogen und die Gruppe damit bedroht. Als ein dritter Deutscher kurz darauf mit einer zweiten Pistole dazukam, hätte Ayhan das Messer gezogen und zugestochen. Einer der Angreifer sank tödlich getroffen, die beiden anderen gingen schwer verletzt zu Boden. »Ob das Gaspistolen waren oder scharfe Waffen, konnten wir so schnell nicht erkennen«, meinte der Augenzeuge, der mit Ayhan befreundet ist.

Am nächsten Bahnhof flüchtete die Gruppe, nahm sich ein Taxi und fuhr zur Disko am Alexanderplatz. »Wir haben nicht daran gedacht, daß da einer getötet worden sein konnte«, sagte der Augenzeuge gestern der taz. »Natürlich waren wir schockiert, aber gleichzeitig auch froh, daß die uns nicht fertiggemacht haben.« — Der getötete Rene G. war Mitglied der »Republikaner«. Die Reps gaben bekannt, daß der Chef der Rechtsradikalen, Franz Schönhuber, an der Beerdigung in Berlin teilnehmen werde. ccm