Ein gefährlicher Präzedenzfall

Der palästinensische Dichter Shafiq Habib unter Hausarrest  ■ von Shirley Eber

In dem galiläischen Dorf Dir Hanna weht über einem der Hauseingänge die schwarze Fahne. Dort wohnt der Dichter Shafiq Habib, der bis zum Abschluß des Gerichtsverfahrens gegen ihn 24 Stunden täglich unter Hausarrest steht. Die schwarze Fahne drückt seine Trauer aus über den Tod der Meinungsfreiheit in Israel. Denn obwohl Zensur und Verbot für palästinensische Autoren in den besetzten Gebieten nichts Ungewöhnliches sind, so ist ein gerichtliches Verfahren gegen einen Schriftsteller innerhalb der „grünen Linie“ bisher noch nie eingeleitet worden. Seine Verhaftung und der Hausarrest scheinen ein gefährlicher Präzedenzfall zu werden.

Am 16. Juni erschien die Polizei auf der Türschwelle seines Hauses, verhaftete ihn und hielt ihn fünf Tage lang fest. Der Vorwurf gegen ihn: Aufruf zum Steinewerfen und Begünstigung einer terroristischen Vereinigung durch die Veröffentlichung eines hetzerischen Gedichtbandes mit dem Titel Rückkehr zur Zukunft. Viele der dort veröffentlichten Gedichte waren bereits vorher in regionalen Zeitungen erschienen, ohne Anstoß zu erregen. Shafiq Habib wurde schließlich nach Hinterlegung einer Kaution von 10.000 Shekel (circa 7.500 DM) wieder freigelassen und unter Hausarrest gestellt.

Er beschreibt, wie alles anfing: „Es begann damit, daß die Zensurbehörde dem Al-Hakim Verlag, in dem meine Bücher erscheinen, einen Warnbrief schrieb; man würde gesetzliche Maßnahmen im Rahmen der Notstandsgesetze von 1945 gegen sie ergreifen, wenn sie weiterhin ,hetzerische Texte‘ veröffentlichten.“

Am Tag seiner Verhaftung durchsuchten zwei Polizisten sein Haus und gingen mit großer Sorgfalt die Bücher seiner Bibliothek durch. Dann forderten sie ihn auf, sie zum Auto zu begleiten, ohne ihn jedoch von dem Haftbefehl zu unterrichten. „Als wir beim Auto standen, sagten sie, ,Steigen Sie ein, Sie sind verhaftet.‘ Das war offenbar vorher so abgesprochen. Während meines Verhörs, das nicht länger als eineinhalb Stunden dauerte, wurde ich über meine Texte befragt. Dabei wurde deutlich, daß meine Gedichte teilweise falsch übersetzt worden waren, womöglich bewußt. Beispielsweise lautete meine Orginalzeile ,Oh, Stein, zerschlag die Köpfe der Verrückten‘ in der (hebräischen) Übersetzung ,Oh, Stein, zerschlag die Köpfe der Besatzungssoldaten‘.“

Seine Haft und die Art und Weise, wie er im Gefängnis behandelt wurde, war, wie er sagt, „so etwas wie Folter“. Habib ist Diabetiker, und die Polizei nahm ihm sofort seine Brille und seine Medizin weg. „Dadurch geriet ich in einen Zustand völliger Erschöpfung und körperlichen Unbehagens, denn bei dieser Krankheit ist die tägliche Einnahme von Medizin absolut notwendig.“ Brille und Medizin wurden ihm nur nach Protesten durch seinen Anwalt und unmittelbar vor seinem Erscheinen vor dem Haftrichter wiedergegeben.

Seit Shafiq Habib 1962 aufgrund „hetzerischer Aktivitäten“ als Lehrer entlassen wurde, war er des öfteren zu Verhören geladen worden. Er arbeitet inzwischen als Buchhalter einer Firma, ist stellvertretender Gemeindevorsitzender von Dir Hanna und Mitglied der palästinensischen Schriftstellervereinigung Israels. „Aber es ist das erste Mal, daß man so willkürlich ein Verfahren gegen mich anstrengt“, sagt er. „Dies ist ein gefährlicher Präzedenzfall, denn die einzige Begründung, die sie haben, ist das, was ich als meine Meinung öffentlich gemacht habe.“

Nach Meinung eines Dichterkollegen ist Habib unter anderem deshalb ausgesondert worden, weil die einfachere Sprache seiner Gedichte für das Publikum zugänglicher ist als die oft überladene, stark metaphorische Sprache vieler anderer Dichter und Schriftsteller. Habib glaubt, daß diese Maßnahmen nicht so sehr gegen ihn persönlich gerichtet sind; er meint, sie zielten insgesamt auf die palästinensische Minderheit Israels allgemein und gegen ihre Schriftsteller im besonderen. Sie wollten einschüchtern und die Meinungsfreiheit ersticken. „Aber mich, und ich glaube, auch andere, werden solche Maßnahmen nicht abschrecken... Ich kann meine Gefühle nicht unterdrücken, wenn ich sehe, wie ein Kind, das so alt ist wie mein Sohn, von einem israelischen Soldaten getötet wird. Ich glaube, daß auch der israelische Soldat den Frieden will. Man kann menschliche Gefühle nicht unterdrücken.“

Aus Protest gegen Habibs Verfolgung und Hausarrest organisierte die Palästinensische Schriftstellervereinigung eine Pressekonferenz, an der auch israelische Parlamentarier, Mitglieder der hebräischen Schriftsellergewerkschaft und des israelischen PEN teilnahmen. Protestschreiben gingen ein von zwei berühmten jüdischen Schriftstellern, A.B. Yehoshua und Haim Guri. Viele besuchten Habib während seines Hausarrests, darunter der US- amerikanische Vizekonsul in Tel Aviv und eine Delegation des Aktionsforums für die Freiheit der Presse. „Ich war während der Haft ganz ruhig“, sagt Habib, „denn ich wußte, daß ich nicht alleine bin und daß es eine breite Solidarität gab.“

Am 14. Juli trafen sich das Komitee israelischer und palästinensischer Schriftsteller und die Organisation „Künstler und Akademiker gegen die Besatzung und für die Freiheit der Kunst“ zu einer Protestkundgebung gegen das Verbot von Büchern in Israel. Die Teilnehmer, unter ihnen berühmte israelische und palästinensische Autoren, beschlossen, im gemeinsamen Kampf gegen alle Formen der Zensur fortzufahren, verfolgte Schriftsteller zu „adoptieren“ und verbotene Literatur ins Hebräische zu übersetzen und zu publizieren; der Anfang soll mit Habibs Gedichten gemacht werden. Sie riefen prominente Mitglieder des israelischen Kulturbetriebs dazu auf, eine Petition zu unterschreiben, in der der sofortige Stopp der Maßnahmen gegen Habib gefordert wird. Bisher haben 18 Personen reagiert und unterschrieben.

Am 25. Juli erschien Shafiq Habib vor Gericht. Sein Anwalt, Avigdor Feldman, erreichte zunächst eine Vertagung mit dem Argument, das gesamte Verfahren sei nur aufgrund verzerrender Übersetzungen zustandegekommen.

Zur Zeit befinden sich vier palästinensische Dichter und Schriftsteller im Gefängnis: Ata Keimari, Naif Abu Aishe, Mahmoud Garbawi und Izat al-Gazawi. Weitere zwölf Schriftsteller wurden seit Ausbruch der Intifada in „administrativer Haft“ gehalten und/oder kurzfristig verhaftet. Die Gesamtzahl dieser Verhaftungen beläuft sich auf zwanzig.S.E.

Shirley Eber ist Expertin für den Nahen Osten bei 'Index on Censorship‘; ihr Bericht fußt auf Artikeln über den Fall Habib in der Zeitung 'Al-Raya‘ und 'Newsletter on Freedom of the Press‘.