Liebesszenen unter Vorbehalt

Cary Grant — ein Portrait  ■ Von Gerhard Midding

Das Leben ist heute morgen in dieses Haus hineinspaziert!“ jubelt Katherine Hepburn in Holiday (Die Schwester der Braut), nachdem sie Cary Grant zum ersten Mal gesehen hat. Mit Grant feierte die kultivierte Ausgelassenheit ihren Einzug in die Hollywoodkomödie: er verstand es, die Lebenslust zu einer noblen Charaktereigenschaft zu erheben. Er war der unbestrittene Souverän der Salonkomödie, Hollywoods beständigstes Symbol für geistsprühenden Witz und Urbanität: seine Haltung verriet eine amüsierte, niemals engherzige Skepsis angesichts der menschlichen Natur.

Sein blendendes Aussehen, der rauhe, aber verbindliche Klang seiner Baritonstimme (welche nie ganz seine britische Herkunft verhehlte) und die Eleganz seiner Leinwanderscheinung entsprachen nicht nur weiblichen Wunschvorstellungen von männlicher Anmut: John F. Kennedy und Cole Porter wünschten sich gleichermaßen innigst, daß Grant sie auf der Leinwand verkörperte.

Cary Grant stammt aus der britischen Arbeiterklasse und wurde 1904 als Archibald Alexander Leach in Bristol geboren. Die Kindheit dieses Schauspielers, der über Jahrzehnte hinweg unbeschwerte Jugendlichkeit darzustellen vermochte, war kurz und unglücklich: die Ehe der Eltern war zerrüttet, der Halbwüchsige schloß sich bald einer Akrobatengruppe an, die durch England zog. 1920 gastierte die Truppe auch in den USA, und der 16jährige entschloß sich, dort zu bleiben. Zunächst arbeitete er als Ausrufer auf dem Vergnügungspark von Coney Island, später dann im Vaudeville und in Music Halls. 1927 bekam er seine erste richtige Bühnenrolle, bereits fünf Jahre später trat er (noch unter seinem richtigen Namen) in einem Kurzfilm auf. Die Paramount nahm ihn unter Vertrag, änderte seinen Namen und legte ihn auf Liebhaberrollen in belanglosen Salon- und Musikkömodien fest, ein Rollenfach, auf das er auch auf der Bühne abonniert war. Es brauchte mehr als zwei Dutzend Filme (unter anderem als Partner von Marlene Dietrich und Mae West), bis er zum Star wurde und sich ein eigenes, eindeutig konturiertes Leinwandimage geschaffen hatte.

Grant gehörte zu der Kategorie von Hollywoodstars, die gemeinhin als „Persönlichkeiten“ und nicht unbedingt als „Schauspieler“ wahrgenommen werden. Wie Humphrey Bogart und Spencer Tracy gelang es ihm, das Publikum in der Illusion zu wiegen, er spiele immer nur sich selbst. Tatsächlich beherrschte er seinen Beruf so vollkommen, daß er seiner Technik den Anschein der Mühelosigkeit geben konnte.

Das Geheimnis der großen Filmschauspieler — und im besonderen: der Komödiendarsteller — besteht darin, daß ihre Stärke die Reaktion ist. Cary Grant hütete dies Geheimnis besser als jeder andere. Seinem Spiel fehlt jeglicher Narzißmus, zu seinen vorrangigsten Qualitäten gehörte die Fähigkeit, seine Mitspieler zu stimulieren. Seine Leinwandpräsenz ist in der Halbtotalen (der Großteil der Bilder, an die man sich aus seinen Filmen erinnert, sind Zwei-, Drei- oder Vier-Personen-Konstellationen) weit besser aufgehoben als in der isolierenden und zugleich schmeichelnden Großaufnahme. Nur in einer Hinsicht scheint der Schauspieler sich seiner Selbst bewußt zu sein: ohne aus der Rolle hinauszutreten, vermittelt er dem Publikum das Bewußtsein seines eigenen Vergnügens am Spielen der Rollen.

Grant ist vielleicht der einzige Protagonist der Romantic Comedies der 30er Jahre, der diese Rolle auch in der Nachkriegszeit glaubwürdig weiterspielen konnte. Den alternden Chameur mit den grauen Schläfen mußte er nie spielen, das Publikum akzeptierte ihn auch als Liebhaber weiblicher Stars, die gerde halb so alt waren wie er (Hitchcock ging gar so weit, die Rolle seiner Mutter in North by Northwest (Der unsichtbare Dritte) mit der gleichaltrigen Jessie Royce Landis zu besetzen.) Erst in Charade, dem ersten Film, in dem man seine echten grauen Haare sieht, wird sein Alter zum Thema in den Dialogen mit Audrey Hepburn.

Daß er im letzten Jahrzehnt seiner Karriere (er hatte schon mehrmals mit dem Gedanken gespielt, sich vom Kino zurückzuziehen und tat dies endgültig 1966) seine größen kommerziellen Erfolge feierte, zeigt, wie sehr seine Alterslosigkeit zu einer Attraktion seiner Filme geworden war. Grant, der auf der Leinwand niemals sterben mußte, war zu einer Institution geworden. Als sein erstes Kind geboren wurde — Grant war 62 Jahre alt — war das ein nationales Ereignis, das die Amerikaner ebenso enthusiastisch feierten, wie die Franzosen die Geburt von Yves Montands Kind. Sein vielpubliziertes Liebesleben trug dazu bei, das Bild ewiger Jugend im Bewußtsein des Publikums zu festigen. Die letzte seiner fünf Ehen wurde geschlossen, als Grant bereits 77 Jahre alt war. Es soll seine glücklichste gewesen sein, sie dauerte bis zu seinem überraschenden Tod 1986. (Seine ersten vier Ehen wurden wegen „seelischer Grausamkeit“ geschieden, Grants Beziehungen zu seinen Ex-Frauen blieben jedoch freundschaftlich.)

Das Verhältnis der Privatperson zu seinem öffentlichen und Leinwand-Image läßt sich nur schwer entschlüsseln. Offensichtlich kostete es geringe Mühe (gibt es ein Privatfoto aus den letzten Jahren, auf dem er nicht strahlend lächelt?), den Eindruck zu erwecken, sie seien identisch: viele Leute, die ihm begegneten, waren überrascht, daß er so sehr wie „Cary Grant“ war.

Dennoch beschäftigte ihn zeitlebens die Frage nach der eigenen, unverwechselbaren Identität und nach einer Individualität jenseits jeder Imitation, für einen Schauspieler nicht ungewöhnlich. Engere Bekannte wissen auch von Selbstzweifeln zu berichten, von Widersprüchen, Enttäuschungen und dem Wunsch, sich in die Isolation zurückzuziehen.

Die entscheidenden Merkmale von Grants Leinwandpersona zeigten sich erst, nachdem 1937 sein Paramount-Vertrag ausgelaufen war. Grant war der erste unabhängige Star Hollywoods, der sich fortan nie wieder vertraglich an ein Studio band, sondern seine Rollen selbst auswählte und den Verlauf seiner Karriere selbst bestimmte. Vor allem in der Wahl seiner Regisseure bewies er ein sicheres Gespür, er hat mit mehr guten bis herausragenden Regisseuren gearbeitet als jeder andere Star seiner Generation. George Stevens, Leo McCarey, Stanley Donen und George Cukor haben gleich mehrere Filme mit ihm in der Hauptrolle gedreht. Es überrascht indessen ein wenig, daß in Grants Filmografie die Namen von drei der größten Komödienregisseure fehlen. Grants komisches Talent war überaus geschmeidig — sein Timing in einer Slapstick-Farce ebenso sicher wie in einer Dialogkomödie. Warum hat er also nie einen Film mit Lubitsch, Wilder oder Preston Sturges gedreht? Drei Vorschläge: Grants Komik baute auf Präsenz und Reaktion, während Lubitsch einen Stil der nonchalanten Ellipse perfektioniert hatte. Wilders Weltsicht war ihm vielleicht doch zu pessimistisch und sarkastisch. Und der Tonfall und Rhythmus von Sturges' Satiren auf das US-amerikanische Erfolgversprechen war ihm vielleicht zu aggressiv.

Aus den Oeuvres von Howard Hawks und Alfred Hitchcock ist er freilich nicht mehr fortzudenken. Beide wußten ihn als Persönlichkeit und als Schauspieler zu schätzen (Hitchcock: „One doesn't direct Cary, one puts him just in front of the camera.“) und die Unverwechselbarkeit von Grants Leinwand-Image läßt ihn gar zum Co-Autor (wenn nicht zum „co-auteur“) ihrer gemeinsamen Filme werden. Hawks' Komödien handeln vom Unbehagen an den traditionellen Geschlechterrollen. Er konnte Grant in Frauenkleider stecken (Leoparden küßt man nicht, Ich war eine männliche Kriegsbraut) oder — als Resultat eines wissenschaftlichen Experiments — in ein Kind verwandeln (Liebling, ich werde jünger) und dabei sicher sein, daß Grants Virilität zwar angekratzt, aber vom Publikum nie wirklich in Frage gestellt würde.

Grants natürliche Leinwandsouveränität prädestinierte ihn auch zum Typus des Hawkschen Professionals, der seinen Beruf mit einer Mischung aus Stolz und Stoizismus ausübt (SOS — Feuer an Bord). Hitchcock suchte einerseits die dunkle Kehrseite der charmanten Fassade seines Stars. Er fand sie in Suspicion (Verdacht) und Notorious (Berüchtigt), zwei Charakterportraits von Männern, die beunruhigend tiefe Gefühle und betrügerische Motive zu verbergen haben.

Wie integral Grants Image für das Funktionieren des Hitchcockschen moralischen Universums war, mag North by Northwest belegen. Ein Mann, fernab der geborgten Sicherheit seines Lebensstils und der urbanen Zivilisation und seiner oberflächlichen Weltgewandheit entkleidet, sieht sich plötzich, allein in der Wildnis, dem Angriff eines Flugzeugs ausgesetzt. Welcher andere Schauspieler außer Grant könnte diese Szene spielen? Sicher nicht James Stewart, Hitchcocks zweites Alter ego: der hätte eine viel offensichtlichere Art der Verletzlichkeit mit ins Spiel gebracht.

Hawks' und Hitchcocks Strategien entsprechen auch dem Kniff, auf den Grants Slapstick- und Screwball- Komödien aufbauen. Es geht immer darum, die Selbstsicherheit dieses perfekten Gentleman zu erschüttern, in dem man ihn den demütigendsten und peinlichsten Situationen aussetzt. Tatsächlich scheint er auch seine Fassung zu verlieren — ein untrügliches Zeichen dafür ist immer die Tatsache, daß ihm sein tadellos frisiertes Haar in die Stirn fällt. Diese Situationen mögen ihn zwar in Verlegenheit bringen — er quittiert sie zunächst mit einem überrascht-ungläubigen Blick, bei dem er die Augenbrauen mißtrauisch zusammenzieht. Grants Leinwandpersona ist jedoch wesentlich, daß sie letztlich unerschütterlich ist: die Absurdität der Welt vermag ihn nicht so sehr zu berühren, daß er sich selbst aufgeben müßte. Die Unabhängigkeit, die Grants Privatleben und den Verlauf seiner Karriere bestimmte, prägt auch seine Leinwandfiguren. In letzter Konsequenz bleibt er seinen Partnerinnen und auch dem Publikum unerreichbar. Charade spielt dementsprechend auch mit dem enigmatischen Zug: Grant wechselt ständig die Identität, erst am Ende erweist sich der Vertrauensvorschuß, den man dieser Figur gewährte, als gerechtfertigt.

Daß er so sehr sich selbst gehörte, verleiht seinen Leinwandromanzen eine sublime Spannung und Vielschichtigkeit. Grant war ein solch dankbarer Partner in Liebesszenen, weil er in die Kinomomente, in denen man gewöhnlich bei romantischer Streicherbegleitung dahinzuschmelzen pflegt, eine vergnügliche Leichtfertigkeit mit ins Spiel brachte. Nie scheint er sie total ernst zu nehmen, die Kußszenen gewinnen (zumal bei Hitchcock) eine amüsante, mitunter beängstigende Zweideutigkeit. Es sind Liebesszenen unter Vorbehalt. Egal, ob er mit Ingrid Bergman über das Huhn spricht, daß sie nachher essen werden (Notorious), Grace Kellys Juwelenhalsband streicht (Über den Dächern von Nizza) oder Eva Marie Saint verspricht, er würde sie ermorden (North by Northwest): hinter all diesen Dialogpassagen verbirgt sich die Reserviertheit des Liebenden Grant, in dessen Hinterkopf Täuschung, Unehrlichkeit und Bindungsangst verblieben sind.

Verführungsszenen mit Grant funktionieren immer durch die Umkehrung der Konvention: Die Frauen müssen die Initiative ergreifen. Unmöglich, sich vorzustellen, daß er sich so sehr verlieben könnte, daß er Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um die Frau zu erobern. Gleichwohl versteht er es, Frauen die Illusion uneingeschränkter Aufmerksamkeit zu gewähren. Er suggeriert seinen Partnerinnen, daß die Beiläufigkeit, die er dem Liebesspiel gibt und deren nonchalante Brechungen und Unterbrechungen, keinen Mangel an Gefühl verraten — sie sind einfach ein Teil seines Temperaments, ein Kavaliersdelikt sozusagen, den sie mit in Kauf nehmen müssen.

Seine besten Partnerinnen fand er deshalb in den forschen Komödiantinnen der 30er und 40er Jahre, in Jean Arthur, Irene Dunne, Rosalind Russel und Ann Sheridan. Die gaben ihre Skepsis und ihre spöttische Distanz erst in den letzten Filmminuten auf; bis dahin aber lieferten sie sich mit ihm launige und scharfzüngige Wortgefechte, deren Tonfall immer auch erotische Anspielungen zuließ.

Grants Filmbeziehungen zu Frauen entbehren selten einen Moment der Zweideutigkeit. Wie kein zweiter Hollywoodstar vermochte er einen Eindruck der Komplizenschaft mit seinen Partnerinnen erwecken: er ließ sie teilhaben an dem Spaß, den ihm das Leben bereitet. Er lacht freilich nicht nur mit ihnen, sondern auch über sie: als macchiavellistischer Chefredakteur in His girl Friday (Sein Mädchen für besondere Fälle) nutzt er jede Gelegenheit, seine Ex-Frau aufzuziehen und zu manipulieren. Auch in seiner Körpersprache schwingt eine Note des Herablassens mit, wenn er etwa betont, wie tief er sich zu einem Kuß herunterbeugen muß. Die Haltung und Gestik des äußerst behenden und akrobatischen Grant konnte im übrigen das Ausweichen und das Zuwenden mit ebensolcher Gewandtheit darstellen.

In den abgründigeren Hawks- und Hitchcock-Filmen ist die Misogynie gar explizit in die Rollen eingeschrieben. Seine Figur in SOS — Feuer an Bord offenbart den Chauvinismus, der sich hinter dem männlichen Stolz der Hawks-Helden verbergen kann. Er betrachtet die Frauen mit der gleichen schneidenden Mißbilligung, mit der auch Devlin (wir erfahren nie seinen Vornamen) Ingrid Bergmans Verhalten in Notorious verurteilt. Die Kälte dieser Figur sucht in Grants Oeuvre ihresgleichen: sein regungsloses Gesicht wirkt weitaus bedrohlicher als das des potentiellen Gattenmörders in Suspicion. Man hat den Eindruck einer fast vollständigen Beherrschtheit dieser Figur und hinter dieser sichtbaren Anstrengung zeigt Grant deren Verletzbarkeit auf. Selbst der alle Welt manipulierende Chefredakteur in His girl Friday hat seinen Moment der Schwäche, des Zögerns: als er von seiner Ex-Frau erfährt, daß sie erneut heiraten will, tastet er seinen Schreibtisch nach etwas ab, das er festhalten will, das ihm Sicherheit gibt. Er findet eine Blume, die er sich ins Knopfloch stecken kann, und rüstet sich damit für die Begegnung mit dem neuen Ehemann.

Grants Kunst liegt in der Balance dieser sich widersprechenden Momente: bei aller Virilität verraten seine Figuren immer wieder eine tiefe, fast unschuldige Verletzlichkeit. In seinem Spiel ergänzen sich die leichten und die düsteren Seiten seiner Person und, gleichviel, welche von beiden in einer Szene dominiert, er läßt einen die andere nie vergessen.