Was zu knabbern, nichts zu beißen

■ Was nützt die Hungerhilfe für die UdSSR ohne strukturelle Unterstützung?

Berlin (taz) — Die Hungerhilfe für die Sowjetunion — von Kanzler Kohl verkündet und von verschiedensten Organisationen unterstützt — ist ausgezeichnet terminiert. Zufällig fällt sie in die Vorweihnachtszeit und stimmt uns ein auf Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Schon einmal hat eine solche Aktion zwei Völker nähergebracht. Damals, im Winter 1980, Polen und Deutsche. Jetziger Hilfsgeste, so ernst sie vom einzelnen gemeint sein mag, haftet ein schaler Beigeschmack an. Denn erst mußten die Sowjets Vorleistungen bringen, bis sich die Deutschen in gönnerhafter Geste zur Wiedergutmachung der Leningrader Hungerblockade durchringen konnten. Insofern stimmt auch das Bild mit der Barmherzigkeit nicht: Zuviel Zweckdenken schwingt dafür auf der Ebene der großen Politik mit. Und die Medien haben auch ihr passendes Thema.

Lebensmittelsendungen und Carepakete können die größte Not lindern und den Menschen über den Winter helfen. Das ist es dann aber auch schon. Der Marschallplan seinerzeit hatte zwei Komponenten: Carepakete für die Bevölkerung und finanzielle Hilfe, damit sich Europa wieder von alleine aufrichten konnte. Strukturelle Hilfe für die UdSSR indes blieb bis dato aus.

Aber selbst an der direkten konkreten Unterstützung der Bevölkerung sind Zweifel angebracht. Die Übernahme der Schirmherrschaft durch Gorbatschow und Kohl ist die eine Seite. Wie die Transporte dorthin kommen, wo sie hingehören, eine ganz andere. Tabaktransporte im Sommer wurden von schwerbewaffneten Rotarmisten durch die Sowjetunion begleitet — aus Angst vor Plünderungen. Daran wird auch ein Zugbegleiter Kohl nichts ändern. Die Desintegration und Atomisierung der UdSSR ist so weit fortgeschritten, daß eine zentrale Verteilung der Hilfsgüter überhaupt nicht mehr möglich ist. Hinzu kommen noch die bürokratischen Hemmnisse. Wenn Gorbatschow den Zoll anweisen will, unkompliziert zu verfahren, überschätzt er seine Einflußmöglichkeiten. Schon heute werden seine Erlasse ja kaum noch befolgt. Transporte, die über Straße oder Schiene laufen, müssen zudem Republiken passieren, die sich von Moskau losgesagt haben. Die Schwundquellen sind unermeßlich. Erfolg kann einer solchen Aktion nur dann beschieden sein, wenn westliche Stellen ihre Ansprechpartner, Krankenhäuser, Altenheime und Betriebe, direkt suchen und die Verteilung dann selbst übernehmen. Völlig absurd ist der Vorschlag der grünen Partei, Päckchen an das zentrale Kinderfondsbüro in Moskau zu schicken. Die Erfahrung sagt: Sollten die Päckchen denn tatsächlich eines Tages unversehrt ankommen, haben die Konserven mit Sicherheit das Verfallsdatum überschritten. Klaus Helge Donath