Geheim, gesetzlos, gefährlich

Schweizer Untersuchungsausschuß deckt zwei „geheime Dienste“ auf/ Kurzer Draht zu „Gladio“  ■ Aus Bern Thomas Scheuer

„Geheim, gesetzlos, gefährlich“ — in diese knappe Formel faßte ein verblüffter Journalistenkollege die Erkenntnisse über Untergrundarmee und Geheimdienst-Organisationen in der Schweiz, die eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) am Freitag in Bern offenlegte. Schon seit den 50er Jahren bestand in der Schweiz eine Art Geheimarmee, die im Besatzungsfall als „Kern des Volkswiderstandes“ aktiviert werden sollte. Um 1981/82 wurde die Geheimtruppe reorganisiert. Tarnname: Projekt 26, kurz P 26. Die geheimen Kommandos unterhielten im ganzen Land Waffen- und Munitionsdepots sowie Ausbildungsanlagen, welche die erstaunten Parlamentarier bei Besichtigungen „in einem technisch modernen Zustand“ vorfanden. Das schlichte PUK-Fazit: „Ihr Bedrohungspotential ist erheblich“. Der Untergrundclub sei „eine außerhalb von Armee und Verwaltung stehende private Organisation,“ die keiner Kontrolle unterliege.

Weder Regierung noch Verteidigungsminister waren die Grundsatzdokumente über Gründung und Struktur von P 26 bekannt. Danach sollen die Untergrundkommandos „auf Befehl“ aktiv werden. Nur: Wer den Befehl geben sollte, blieb den Parlamentariern schleierhaft. Die PUK vermißt jede verfassungsmäßige oder gesetzliche Grundlage: „Eine geheime, mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstete Organisation stellt an sich eine potentielle Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung dar. Die Gefahr eines Mißbrauches durch Selbstaktivierung besteht.“ Die Regierung hat am Mittwoch letzter Woche die Auflösung von P 26 angeordnet. Mit Spannung wird nun erwartet, wie sie dem Parlament den Vollzug nachweisen wird. Denn in ihrem Report stellen die PUK-Rechercheure fest, P 26 sei so abgeschottet, daß selbst die Regierung „keinen Schlüssel zur Aktivierung oder Deaktivierung“ besitze.

Der dickste P-26-Hammer aus schweizer Sicht sind die Querverbindungen zu „stand by“-Organisationen diverser Nato-Staaten — eine eindeutige Verletzung der hoch und heilig gehaltenen Neutralität. P-26-Agenten, so fand die PUK heraus, nahmen an Sabotagekursen in einem namentlich nicht genannten Nato-Land teil; umgekehrt reisten Geheimbündler dieses Landes zum Guerilla-Training in die Alpenrepublik. Branchenkenner tippen auf Belgien. Ferner fand sich in den P-26-Dokumenten ein „Einsatzszenario Europa“. Leider „maß die Kommission“, so heißt es im Report, „diesem Szenario keine weitere Bedeutung zu.“ Die Schweizer hätten nie mit der Nato als solcher, heißt es dazu beschwichtigend, sondern immer nur mit demselben einen Nato- Land auf bilateraler Ebene kooperiert. Daß die eidgenössischen Geheimkommandos aber auch zum gesamten Gladio-Netz der Nato einen kurzen Draht pflegen, beweist ein weiteres Detail, das PUK-Präsident Carlo Schmid gestern auf seiner Pressekonferenz nachlieferte: 1987 modernisierte P 26 sein Kommunikationsnetz; gerade zwei Jahre zuvor hatte die Nato ein neues Übermittlungssystem für Gladio installiert. Die Schweizer bestellten prompt das von einer deutschen Firma im Nato- Auftrag entwickelte System „Harpoon“. Weil die Schweiz nicht in Erscheinung treten sollte, wurden die Geräte über einen „mit einem Decknamen versehenen, nicht näher identifizierten Dienst eines europäischen Nato-Staates“ bestellt. Mit „Harpoon“ verfügt P 26 über ein Kommunikationssystem, das zwar nicht mit der Nachrichtentechnik der schweizerischen Armee, wohl aber mit derjenigen der Nato-Geheimbündler kompatibel ist.

Keinerlei Rechtsgrundlage fand die PUK auch für eine weitere Firma der helvetischen Geheim-Neurotiker: Das „Projekt 27“. Unter diesem Code wurde neben dem regulären Geheimdienst ein zweiter „außerordentlicher Geheimdienst“ betrieben. Angeblich pflegt dieser Parallel-Geheimdienst, so wurde der PUK versichert, keine Kontakte mit Nato- Diensten; lediglich dessen Chef „unterhält ein Beziehungsnetz zu Persönlichkeiten im Ausland.“ Um was für Personen mag es sich dabei wohl handeln?