Auf dem Betzenberg entthront

■ 1. FC Kaiserslautern stürzt Werder Bremen mit 1:0 von der Tabellenspitze

Gunnar Sauer hatte ihn in der fünften Minute auf dem Fuß, den ersten Werdersieg gegen den 1. FCK in diesem Jahr, doch Hotic klärte vor der Linie. So blieb die Jahresbilanz der Pfälzer, 90 sind sie alt und keiner merkt es ihnen an, gegen ihre Freunde aus Bremen positiv: 2:2 am 1. Mai, mitten im Abstiegskampf, 3:2 zweieinhalb Wochen später im Pokalendspiel in Berlin — und nun entthronten die Roten gar mit einen knappen, aber überzeugenden 1:0 den grünweißen Überraschungstabellenführer der Liga und übernahmen selbst diese Position.

Die Goalgetter von Berlin gingen dieses Mal leer aus — Stefan Kuntz geht noch ins Reha-Zentrum und Bruno Labbadia ist noch etwas matt nach gerade überstandener Virusinfektion. Überhaupt hatten die Lauterer nur noch vier Pokalsieger in ihrem durch Verletzungen so dezimierten Team. Das entscheidende Tor fiel früh, nur kurz nach Sauers Pech. Guido Hoffmann wurde so geschickt freigespielt und ließ Werder-Torwart Oliver Reck keine Chance ließ. Otto Rehhagel, schick in Anzug und Krawatte, erkannte den verdienten Sieg der roten Teufel an, sah die Spielanteile in der ersten Hälfte klar auf seiten des FCK. In den Tagen vor dem Top- Spiel hatte die lokale Presse die nostalgischen Gefühle derer strapaziert, die die Vor-Bundesliga- Zeiten noch in bester Erinnerung haben. Kalli Feldkamp war da zu sehen im Dress der rotweißen Oberhausener, heute nicht mal mehr drittklassig, und Otto als Abwehrrecke der Essener Rotweißen, die auch schon bessere Zeiten erlebt haben. 0:0 gings 1961 aus, ein Ergebnis, das den 33 704 ZuschauerInnen erspart blieb.

Vielleicht hatten vier Bundesligajahre ohne Niederlage in der Pfalz den SV Werder etwas eingelullt, denn die letzten Reserven ließ die Mannschaft unangetastet. Hatten die Grünweißen in der 1. Halbzeit noch vier gute Chancen, um ihre Tabellenspitze zu verteidigen, so beschränkten sie sich in den zweiten 45 Minuten weniger, sieht man von der imponierenden Schlußoffensive ab. Symptomatisch: in seinem Übereifer traf Wynton Rufer Thomas Wolters Kopf. Auch der überkorrekte Schiedsrichter Manfred Amerell meinte es gut mit den Bremern und ließ fünf Minuten nachspielen. Aber es scheint nicht Bremer Art, Geschenke anzunehmen, schließlich kommt in vierzehn Tagen die Düsseldorfer Fortuna, und da kann man ja aus eigener Kraft die Tabellenführung wieder zurückholen.

Wie ein halbes Jahr zuvor auf dem Kurfürstendamm, im Olympiastadion und hinterher bei den Siegesfeiern, demonstrierten rotweiße und grünweiße Schal-und Mützenträger auch in der Pfalz Gemeinsamkeit — null Randale in Bahnhof und Stadion, weder vor noch nach dem packenden Spiel, in dem nur Stadler, Hoffmann und Klaus Allofs Gelb sahen. Bremens Rune Bratseth, der mit Gunnar Sauer gute Abwehrarbeit leistete, erfuhr wieder einmal freundliche Observierung aus seiner norwegischen Heimat. Extra zum Spitzenspiel war ein Reporter des Osloer „Dagbladet“ angereist, erlebte die einmalige Betzenbergatmosphäre und konnte zwei Teams sehen, die in dieser Verfassung auch noch in einem halben Jahr, wenn es auf die Zielgeraden geht, dort stehen können, wo sie heute zu finden sind — in der Spitze. Günter Rohrbacher-List