Wir Segelmenschen sind unsterblich

■ Das „Theater des achten Tages“ war zu Gast bei den Polnischen Tagen in der Kulturetage-Oldenburg

Am achten Tag hatte Gott sich möglicherweise überanstrengt — jedenfalls fühlte er sich müde und ausgelaugt. Das Ergebnis seiner schöpferischen Bemühungen schien nicht das, was er sich vorgestellt hatte. Vor diesem Hintergrund entwickelt das 1964 gegründete Theater des achten Tages aus Poznan eine treffsichere Kritik politischer Verhältnisse.

Auf einer podestartigen Bühne inmitten der ZuschauerInnen präsentieren eine Schauspielerin (Ewa Wojciak) und drei Schauspieler (Adam Borowski, Tadeusz Janiszewski, Marcin Keszycki) das schockierende Kaleidoskop menschlicher Taten und Hoffnungen. Letztere hängen sich an ein Segelboot, das als Spielzeug und beinah kitschige Metapher hochgehalten wird. Die Szenenfolge spannt ein weites Assoziationsnetz, das manchmal einer Performance näher kommt als einem Stück mit Handlungsfolge. Wermut (Regie Lech Raczak, Musik Lech Jankowski) war die letzte Inszenierung der Gruppe in Polen vor ihrem Exil. Seitdem reiste sie jahrelang durchs westliche Ausland, bis sie 1989 wieder in Warschau gastierte. Als hätte man das vorausgesehen, ist ein Leitmotiv das ständige Herumreisen, das trotz Strapazen und Verboten die Alternative zum hoffnungslosen Warten in einsamen Wohnungen bedeutet — und zum politischen auf-der-Stelle-Treten...

Eine arme Polin, Schmerzensmutter, quält sich zwischen kaputtem Hausgerät, insbesondere Wassereimern, deren Inhalt reichlich fließt: zum Waschen der Hände in Unschuld und als dringend benötigtes Weihwasser — unterstützt von Kerzenschein und rituellen Gesängen. Dazwischen Blaulicht, der Schrecken des totalitären Überwachungsstaates: Einer wird von der Geheimpolizei erschossen, ein anderer stammelt immer wieder: Sie ließen mich auf Menschen schießen — ich wußte nicht, daß es scharfe Munition war!

Der Kampf gegen politische Unterdrückung u n d die Darstellung existentieller Befindlichkeiten verschmelzen zu einem hierzulande unbekannten Zusammenhang. Aus westlicher Sicht scheint hier die — unmögliche? — Synthese von Brecht und Beckett gelungen. Zwei grölende Saufkumpane, vorher arbeitslose Soldaten, gleich darauf Dreikönigssinger, müssen direkt dem Beckettschen Pandämonium entsprungen sein. Und nicht nur aus der mittlerweile überwundenen politischen Diktatur bezieht das Bühnengeschehen seine Bildkraft. Mittels einer enormen Wandlungsfähigkeit der Schauspieler schlägt die Anrufung Polens und seiner „Werte“ um in Satire und Ironie: „Polen erhebe dich, dein hohes Gericht kommt! In schmutzigem Bettzeug keimt schmutziges Denken... Pornographie, Prostitution — no pasaran!“ Es ist die ewig aktuelle Demaskierung des nationalistischen Pathos und des dazugehörigen Reinlichkeitswahns. Auch andere Machthaber als sozialistische sind denkbar, die als Hüter der Gerechtigkeit getarnt, gierig an den blanken Knochen des Volkes nagen...

Und dann die atmosphärische Verwandlung des Spielzeug- Schiffchens zur ganzen Bühne: Plötzlich hissen die Akteure große weiße Segel über ihren und unseren Köpfen. Die Dame trägt nun leuchtend rot und ihr Partner ein Hawaihemd. Sie probiert, das schwankende Boot zu verlassen — ging da nicht schon mal jemand übers Wasser? Das Element hält — und erlaubt, darauf herumzutanzen. Die Gefährten folgen — jetzt feiern alle ihre wilde Lebenslust — bis man den Partner zusammenschlägt.

Doch trotz aller lauten und leisen Verzweiflungsgesten reist die Utopie weiterhin mit: die politische u n d die persönliche. Schon wieder so ein beunruhigender Theaterabend, der das gute Gefühl hinterläßt, etwas erlebt zu haben, das man nicht eh immer schon gesehen hat. Konstanze Radziwill