Berlin als Nadelöhr für Zugbenutzer

■ Bundesweiter Streik der Reichsbahner begann gestern abend/ Endstation für Fernzüge seit gestern, 19 Uhr Hauptbahnhof und Zoo/ Wird ab heute auch der S-Bahnverkehr gestört?/ BVG will wieder Sondereinsätze wie beim Smog-Alarm schieben

Berlin. Angekündigt war nur eine Protestkundgebung am Bahnhof Zoo — doch dann begannen die Eisenbahn-Gewerkschafter schon am gestrigen Abend mit ihren für Mitternacht angekündigten Streikaktionen. Für aus Westen kommende Züge ist seitdem am Zoo Endstation, Passagiere aus Richtung Osten müssen am Hauptbahnhof aussteigen. Sowohl im Reisezugverkehr als auch auf dem S-Bahn-Netz dürfte es heute und möglicherweise auch in den nächsten Tagen zu teilweise chaotischen Zuständen kommen.

Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdED) und der Reichsbahn votierten in der bis Samstag abend laufenden Urabstimmung über 97 Prozent der etwa 230.000 in der Gewerkschaft organisierten Reichsbahner für Streik. Im Bereich der Reichsbahndirektion Berlin stimmten gar 98,6 Prozent der KollegInnen für Arbeitskampfmaßnahmen. Außer im Güter- seien auch im Personenverkehr »Störungen im Betriebsablauf« nicht auszuschließen, heißt es in Flugblättern der GdED-Ortsverwaltung, mit denen man die betroffenen Bahnkunden heute um Verständnis bitten will.

Es ist geplant, zumindest einige der durchschnittlich 24 Zugpaare, die täglich von Berlin in die westlichen Bundesländer rollen, »auszudünnen«. »Schon von den Kapazitäten her« kann dann auch die Bundesbahn nicht mit eigenen Zügen aushelfen, so der Sprecher der Berliner DB- Verwaltungsstelle, Uwe Herz. Reisende können ab 8.30 Uhr bei der Westberliner Telefonauskunft (19419) Verspätungen oder Ausfälle erfragen.

Daß allein aus technischen Gründen auch Fahrgäste der S-Bahn von Schwerpunktstreiks betroffen sein werden, hielt ein Sprecher der gewerkschaftlichen Vertrauensleute für wahrscheinlich. So gebe es in Marienfelde, Schönholz, Wannsee und am Bahnhof Friedrichstraße für die Fernbahn und die S-Bahn gemeinsame Stellwerke. Die Gewerkschafter kampfeslustig: »Wenn wir den Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn dichtmachen, kann die BVG auf der Strecke Frohnau-Wannsee einpacken.« Bei einer Blockade des Bahnhofs Friedrichstraße wären auch auf einen Schlag die durchgehenden Zugverbindungen nach Erkner, Königs Wusterhausen, Schönefeld und Strausberg lahmgelegt.

Die BVG will während des Streiks gegebenenfalls »wie beim Smog- Alarm« zur Bewältigung des Fahrgastansturms zusätzliche U-Bahnwagen und Busse einsetzen. Insbesondere die U-Bahn-Linie 8 werde verstärkt, kündigte BVG- Sprecher Göbel an. Doch es fehlt an Reserven: Von der BVB wieder zurückgegebene U-Bahn-Waggons seien durch den notwendigen Umbau erst Anfang Dezember einsatzbereit. Ebenso schwierig gestaltete sich übers Wochenende die Organisation eines Busersatzverkehrs. Von den insgesamt 5.240 BVG-BusfahrerInnen sind nämlich zur Zeit 687 krankgeschrieben, was einer Rekordquote von 13,1 Prozent entspricht. Göbel zufolge bat die BVG deshalb schon am Freitag private Busunternehmen um Mithilfe. Streikbrecherdienste kommen für die BVGler aber nicht in Frage: Für den BVG-Gesamtpersonalratsvorsitzenden Wilfried Mehner war BVG-Chef Lorenzen »wohl verrückt geworden«, als er auf dem kleinen Dienstweg anfragen ließ, ob BVG-Personal am Bahnhof Friedrichstraße ersatzweise die S-Bahn- Züge abfertigen könne. Thomas Knauf

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