Schwuler Klassiker

■ Ein Aids-Benefiz-Sampler mit gecoverten Cole-Porter-Songs

Heute wäre er ein Fall für Outing: Cole Porter, der legendäre und nicht minder schwule Musical- und Rhythm'n'Blues- Komponist. Eine Internationale des Pop von David Byrne bis Jody Watley hat nun zugunsten von Aids-Hilfen und -Forschungsprojekten zwanzig Songs von Porter neu interpretiert: Red, Hot & Blue — A Tribute to Cole Porter.

Nicht nur wegen seines (versteckten) So-Seins ist Porter der Richtige für das Programm dieses Benefiz- Albums — schließlich war der US- Amerikaner auch der erste zeitgenössische Komponist, der in seinen Texten ironisch die gesellschaftliche Prüderie und die gängige Sexualmoral aufs Korn nahm, mal offen und direkt, mal kodiert.

Millionärsenkel Porter, geboren 1892, lernte Geige mit sechs und Klavier im Alter von acht, mit zehn Jahren komponierte er sein erstes Musikstück und hörte damit bis 1964 nicht mehr auf. Auf sein Konto gehen Cheer-leader-Songs (Bull Dog), Schlager, (Let's Do It, I Get a Kick Out of You, Begin the Beguine) und Musicals (Kiss Me Kate, Can-Can, High Society). Nicht zu vergessen viele ins Jazz-Repertoire aufgenommene Klassiker wie etwa Night And Day.

Initiiert wurde Red, Hot & Blue von John Carlin, einem New Yorker Rechtsanwalt, der den Nachlaß von Cole Porter verwaltet. Carlin wollte angesichts seiner wegsterbenden Freunde etwas tun und überredete zunächst David Byrne zum Mitmachen. Als dann die Familie Porters auf die Rechte an den Songs verzichtete, stand der guten Sache nichts mehr im Wege. Zum Cover, das von verschiedenen Künstlern (unter anderen Keith Haring) gestaltet wurde, kamen Videos für jeden der Songs, produziert von Filmern wie Wenders und Jarmusch. Schließlich machten sich die Designer Jean Paul Gaultier und Rifat Ozbek noch an Mode und Modeschmuck für das Benefiz-Projekt.

Am besten ist Red, Hot & Blue da, wo die InterpretInnen auf Stil und Nostalgie verzichten und scratchen, rappen oder vom Synthesizer und anderer Elektronik Gebrauch machen — kurz, wo sie auf der Höhe der Zeit und möglichst weit weg vom Original sind. Wie etwa Neneh Cherry mit ihrer Dancefloor-Version von I Got You Under my Skin, das Eröffnungstück der Platte, ein Agitprop-Rap der das Projekt erklärt und sich gegen die Stigmatisierung von HIV-Positiven und Aidskranken wendet. „Share your love, don't share your needle.“ Ebenso modern und tanzbar: die Techno-Version von Too Darn Hot, die Erasure eingespielt hat, und der unterkühlte, blecherne, als Rap gecoverte I Get a Kick Out of You der Jungle Brothers. Ungenießbar hingegen das dünne Stimmchen von Sinead O' Connor, die es mit You Do Something to Me ganz klassisch versucht und nebenbei wie Marilyn klingen will. Ebenso Tom Waits, der für junge Hals-Nase-Ohren-Ärzte wieder mal einen schweren Fall von Bronchialkatarrh simuliert. Und auch U 2 bleibt eben immer U 2. Grandios hingegen die Folk-Versionen von Kirsty MacColl und den Pogues, Mory Kantes afrikanische Version von Begin the Beguine und das Duo Debbie Harry/Iggy Pop. Für das niedlichste Detail der Platte haben die Négresses Vertes mit einem Walzer gesorgt. Ihr „Paris“ aus I Love Paris singen sie zwischen Englisch und Französisch, so daß es fast wie Deutsch klingt, nur mit rollendem R.

In Deutschland sollen die Erlöse von Red, Hot & Blue übrigens Wohnprojekten der Aids-Hilfe zugute kommen. Sie sollen Menschen mit Aids ein selbstbestimmtes Leben in der ihnen noch verbleibenden Zeit garantieren. Damit sie eine ihnen gemäße Wohnung finden, bevor es zu spät ist. Allein in Berlin stehen mehr als 150 obdachlose HIV-Positive und Aidskranke auf der Warteliste. Hans-Hermann Kotte

Red, Hot & Blue — A Tribute to Cole Porter , Chrysalis. Das eineinhalbstündige Video läuft am 2. Dezember, dem World Aids Day, im dritten Programm der Nordkette um 22 Uhr.