piwik no script img

Traversierender Filou auf Hufen

Internationales Reitturnier in Berlin: Dressur — als langweilig verschrien, ist sie der Kreatur nichtsdestotrotz angemessener als Springen. Plädoyer für eine verkannte Sportart  ■ Aus Berlin Michaela Schießl

Auf den ersten Blick sind sie nicht zwingend sympathisch, die Hochherrschaftlichen im Frack und Zylinder. Auch auf den zweiten nicht, wenn sie mit aristokratischem Gang und arrogantem Großgrundbesitzer- Blick vorbeipromenieren, als heilige jeder ihrer Schritte den Boden.

Doch nähert man sich ihnen, verflüchtigt sich die Ehrfurcht und macht einer gänzlich unadligen Sinneswahrnehmung Platz: Diese edelen Menschen riechen irgendwie seltsam. Genau genommen streng. Nach Mist. Sie stinken. Wie Tiere. Und irgendwie erscheinen sie plötzlich menschlich.

Die Rede ist von Dompteuren. Sie selber sehen sich lieber als Tanzlehrer. Tanzlehrer für Pferde. Dressurreiter eben. Nur — unter uns — ein Pferd tanzt natürlich nicht. Weil es gar nicht weiß, was das ist. Und wie der Radio angeht. Menschen hingegen können sich tanzende Pferde vorstellen, etwa wie einen Tanzbären oder ein Stepphuhn. Also dressiert man das Pferd. Dressurreiten. Tier-Dressur? Wir wenden uns ab mit Grauen. Zuckerbrot und Peitsche, Knute und Drill, Kavallerie und Kommiß. Erinnerungen an den erzwungenen Tanzkurs und an den familieneigenen Schoßhund, der immer Männchen machen mußte.

Doch der Besuch eines Dressurturniers kann zum Genuß werden. Denn vernachlässig wir mal, daß ein Pferd generell wenig Interesse daran hat, geritten zu werden, so zählt die Dressur noch zu den angenehmsten Dingen, die ihm wiederfahren können. Mag es für den Laien auch noch so gekünstelt und erzwungen wirken, es ist nicht unangemessen. Alle geforderten Figuren vollführt das Pferd auch in freier Wildbahn. Dort müssen Pirouetten, Traversalen, Piaffen herhalten, um Konkurrenten Erfurcht einzuflößen oder Stuten zu bezaubern.

Die Schwierigkeit ist, Pferde so zu dressieren, daß sie auf Reiter-Befehl, Hilfen genannt, diese Bewegungen machen. Und das geht glücklicherweise nur bedingt mit Gewalt. Vielmehr bedarf es hier der oft zitierte Beziehung zwischen Pferd und Reiter. Grundvoraussetzung für eine Dressur: Das Pferd muß locker sein (Losgelöstheit), um beweglich zu werden und aufmerksam für die Befehle von oben. Ein schlecht gelöstes Pferd wirkt, selbst wenn es spurt, immer verkrampft. Womit auf Dauer kein Blumentopf zu gewinnen ist. Denn erstens gibt's Punktabzug, und zweitens kapitulieren die Sehnen und Bänder bei zu viel Kraft und Krampf. Und die Ausbildung der Tiere dauert Jahre.

Der Grund für die geringe Popularität des Dressursports liegt wohl an mangelnder Fachkenntnis. Denn wild schnaubende Springpferde entsprechen mehr der allgemeinen Vorstellung. Auch fällt die Identifikation mit den Bauernköpfen in den roten Röcken leichter als mit Herrn Graf im Frack. Leicht auch die Regeln: Fehler gibts für fallende Stangen, fallende Reiter, bockende Pferde oder lahme Zeiten. Der Dressurbetrachter muß, verglichen damit, kriminalistisch vorgehen, denn die Frackträger verharren fast unbeweglich auf dem Pferderücken und senden jeden Befehl via Gewicht, Schenkel oder Zügel höchst unauffällig ans Pferd.

Schauen wir also aufmerksam, ob die Order beim Tier ankommt: Nehmen wir die Piaffe, versucht von Maritim auf Befehl von Margit Otto- Crepin beim Grand-Prix-Special in Berlin. Dabei soll das Pferd im Stand traben, federnd, grazil und hoch. Doch Maritim ist an diesem Samstag mit dem falschen Huf aufgestanden. Die 45jährige WM-Vierte kommt nicht durch, Maritim schlurft lustlos. Bei der Galopp-Pirouette, wo das Pferd mit den Vorderhufen (Vorhand) rund um die auf der Stelle galopphüpfende Hinterhufe (Hinterhand) herumspringen soll, mogelt er und drehte nur betrügerisch den Huf. Ebenfalls Punktabzug für die verheerenden Tempowechsel, weil stockend statt fließend.

Doch dann kommt ein wahrer Champ, eine Augenweide in braunem Pelz, ein Filou auf Hufen: Wie eine Wolke schwebt „Ideaal“ ins Viereck. Eine halbe Tonne Fleich, die den Boden nur gelegentlich zu berühren scheint. Becircend schwingt er die Vorderbeine, kraftvoll und entschlossen treten die hinteren unter den polierten Körper. Ideaal beherrscht die schwersten Übungen mit spielerischer Leichtigkeit und unglaublicher Ausstrahlung. Nur die nervös wakelnden Ohren verraten seine Konzentration. Fast unmerklich wechselt er von Schritt zu Trab, zum Galopp. Die Passagen sind geradezu lasziv, die Pirouetten übermütig. Sein Wiehern wirkt beifallheischend, begleitet von heftig werdendem Schnauben. Plötzlich springt Sven-Günther Rothenberger vom Roß und reißt ihm den Zaum auf. Ideaal hat sich verschluckt und bekam keine Luft mehr. Unter rührigem Applaus führte der 24jährige Student sein Pferd aus der Halle. Der Märtyrer später: „Ich hab immer gesagt, wenn das Pferd was hat, höre ich auf.“ Braver Bub.

So gewann Monica Theodorescu auf Grumox vor Ann-Kathrin Kroth- Linsenhoff und Golfstrom. Als dritte machte die Italienerin Pia Laus und Adrett den Frauenerfolg komplett. Keine Seltenheit im Dressursport, der anders als der Spingsport zunehmend in Damenhänden schlummert. Wahrscheinlich, weil es nicht so sehr ums Geld geht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen