Stinkig-klebrige Altlast

■ Der neue Bundestag wird sich mit der Gladio-Affäre beschäftigen müssen GASTKOMMENTAR

Irgendwann im Frühjahr 1945 flogen zwei Flugzeuge von Ost nach West: das eine von Moskau nach Berlin, es flog die Gruppe Ulbricht ein; das andere von Berlin über Westdeutschland nach Amerika, es flog die Gruppe Gehlen aus. Ulbricht wurde Stalins erster öffentlicher Deutscher in der Ostzone, Gehlen wurde Washingtons erster geheimer Deutscher in der Westzone. Ulbricht baute die Fundamente für den Stasistaat, Gehlen die Pfeiler für die westdeutschen Nachrichtendienste. Der eine war Stalins Scherge in Moskau gewesen, der andere Hitlers Abwehrwolf gegen den Ostfeind.

Dieses dolle Deutschland-Jahr hat zum Ende seine ironische Logik: Ein Jahr Entsetzen über Stasi-Dreck — die Entgiftung kann Jahrzehnte dauern oder gar nicht erst richtig anfangen — und keinen Tag Empörung über die deutschen Gladio-Ableger. Mit der lapidaren Feststellung, die Sache, die es angeblich kaum gegeben habe, werde im Frühjahr 1991 aufgelöst, wird sich der neue Bundestag nicht zufrieden geben. Geheimtruppen außerhalb der Parlamentskontrolle, Befehle, von denen niemand etwas weiß! Wenn bei uns auch nur ein Zipfelchen von dem war, was in Athen, Rom und Brüssel ans Licht kam, dann waren hier Verfassungsfeinde allergrößten Kalibers am Wühlen. Im überstaatlichen Auftrag.

Da muß, wem mulmig wird, im Anklang an Kaiser Wilhelm sagen: Wir kennen keine Parteien mehr, sondern nur noch unser Grundgesetz. In diesem Jahr der Einigung ist das Parlament aus der Puste geraten und hat wenig wirklich kontrolliert. Wer aber glaubt, jetzt schnell den großen Schwamm drüber und dann neue Legislatur, der wird sich wundern.

Die James-Bond-Choreographen und ihre teuren Ensembles haben ihr geheimes Ost-West-Ballett ausgetanzt. Jetzt muß der Maulwurfdreck gemistet, muß Verfassungsfeindschaft — und wenn sie vierzig Jahre zurückreicht — aufgeklärt werden. Wir wollen die ganze stinkig-klebrige Altlast loswerden. Aber offen — mit Namen und Adresse, mit Datum und Datei: Waren Rechtsradikale im Nato-Dienst am Aufbau dieser Einheiten beteiligt? Wer hat zu verantworten, daß es geheime Gelder für diesen spießigen Spielkram gab? Wer hat gedeckt, daß angeblich weder Minister noch Abgeordnete etwas zu wissen brauchten? Wußten diese supergeheimen Mitglieder des Öffentlichen Dienstes etwas vom Putsch in Athen oder Mordtaten in Rom? Der neue Bundestag hat viele Fragen. Es wäre besser gewesen, der alte Bundestag hätte sie wenigstens schon gestellt. Freimut Duve

Der Autor ist SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag