„Flöhe und Läuse sind sofort zu melden“

Im Flüchtlingslager Traiskirchen bei Wien gehen bei den Rumänen Angst und Schrecken um, seitdem die Polizei während der Nacht Asylbewerber abholt, um sie nach Rumänien zu schicken/ Es gibt aber auch eine Welle der Hilfsbereitschaft  ■ Aus Wien Roland Hofwiler

Die Kontrolleure fahren immer mit. Tag und Nacht. Denn in der Lokalbahn Wien-Traiskirchen-Baden „wimmelt es von Schwarzfahrern, das sind die Asylanten“, gibt einer von ihnen bereitwillig Auskunft. Ganz wohl in seiner Haut fühlt er sich dabei nicht, denn „die Leut', die ham ja nix“. Trotzdem wird kontrolliert. Und die Fahrgäste, so ärmlich sie auch aussehen, kratzen ihre letzten Schillinge zusammen, um in die heruntergekommene ehemalige K.u.k.- Kadettenschule Traiskirchen hinauszufahren, hin zum Lager, wo manche nun schon seit Monaten auf einen positiven Bescheid für ihren Asylantrag hoffen. „Wagst du, schwarzzufahren, dann sitzt du doch gleich im Flugzeug nach Bukarest“, erzählt Mircea. Er ist einer von jenen siebentausend rumänischen Asylbewerbern, die in den nächsten Wochen abgeschoben werden sollen.

Schlecht wie das Wetter, so ist auch die Stimmung bei unserer Ankunft in Traiskirchen. Die Angst geht um, seit am Dienstag mit nächtlichen Polizeiaktionen zu rechnen ist. Hier, in den 32 langgestreckten Baracken wohnen sie, die Flüchtinge aus Osteuropa. 120 Schilling pro Woche Taschengeld erhalten sie, Brot und in Plastik abgepacktes Essen. Damit sind keine großen Sprünge zu machen. So bleiben die meisten in der baumlosen Öde, die von einem hohen Bauzaun umrahmt ist, und harren der Dinge, die da kommen werden. Manche haben sich schon Arbeit besorgt, doch seitdem öffentlich über die Schwarzarbeit debattiert wird, ist es für Neuankömmlinge nicht mehr leicht, eine solche auch zu finden.

Mirceas Freund Ion, der erst seit drei Wochen hier ist, nennt den Massenabschiebeplan des Innenministers Franz Löschnak nur verächtlich „Geheimkommando Rumänen raus“. Zwar hat er sogar ein bißchen Verständnis für die Argumentation der Regierung, Österreich müsse seine Grenzen vor Wirtschaftsflüchtlingen schließen, heute seien es Zehntausende, morgen vielleicht Millionen aus der Osthälfte Europas, die hier anklopfen würden. Aber Ion lacht. „Wir haben so lange auf die Öffnung gewartet und in Österreich einen liberalen Staat gesehen.“ Mircea: „Ja, ich wollte immer in einer Demokratie leben, und ich fühle mich selbst nach dem Sturz Ceausescus in Rumänien nicht sicher.“ Bei den Österreichern habe aber kaum jemand Verständnis gezeigt, daß er überhaupt einen Asylantrag stellte. „Verdien dir ein paar Mäuse und geh wieder“, hieße die sich wiederholende Litanei.

Wilhelm Hutterer, der junge „Oberaufseher“ des Lagers, zuckt mit den Achseln: „Hier haben alle Angst, vor allem und jedem.“ Es sei schon lange seine Meinung, entweder hier menschenwürdige Bedingungen zu schaffen oder gleich den Einlaß zu begrenzen. Selbst er wisse nicht, was sich hier alles tummle, ob Agenten oder Kriminelle, und überhaupt, so viele Nationen auf engstem Raum, das bringe Aggressionen mit sich, die sich in Selbstmordversuchen und Messerstechereien entlüden. Also in der Konsequenz Abschiebung für die Mehrzahl? Hutterer ausweichend: „Es ist mir klar, daß etwas geschehen muß, aber was es ist, weiß ich nicht.“ Er selbst formuliert keine grundsätzlichen Forderungen an die übergeordneten Behörden und wartet lieber auf den „Befehl von oben“.

Mangelnde Initiative haben andere nicht. Zum Beispiel der Herr Ingo Macho, so nennt er sich jedenfalls. Er ist einer jener 450 Pensions- und Gasthofbesitzer, die sich in Traiskirchen bereiterklärten, ihre Herbergen für Asylsuchende zu öffnen — für harte Schilling versteht sich. Wieviel er pro Kopf verdient, das sei „Verschweigsache“, erklärt der Rolls- Royce-Fahrer, der kein Hehl aus seiner Vergangenheit macht. Sein Hotel „Aston“ im vierzehnten Wiener Bezirk war einst ein Freudenhaus, „aber man muß ja auch mal etwas Neues aufziehen“. Wie er jetzt für Zucht und Ordnung sorgt, das zeigt seine Hausordnung. „Erstes Gebot: keine Besucher“, „zweites Gebot: Jegliche Elektrogeräte wie Fernseher, Stereoanlagen, Tauchsieder sind innerhalb der Hotelanlage nicht gestattet“. Dem folgt: „Flöhe, Läuse, Wanzen sind sofort der Hotelleitung zu melden.“

Der Elektriker Attila Mathe will sich trotz allem seine Träume nicht zerstören lassen: „Klar, man könnte resignieren, ich kenne selbst Familien, die sagten, wir geben auf, wir gehen zurück.“ Die Abschiebepraxis und die ständigen Drohungen habe manche schon mürbe gemacht. Doch er bleibe da standfest: „Ich weiß, was Unterdrückung bedeutet, und ich weiß, Österreich kann letztlich nichts anderes tun, als uns aufzunehmen, denn wie würde Österreich in Europa nach einer Deportation von 7.000 hilfesuchenden Menschen dastehen?“ Und er fügt hinzu: „Eine Demokratie ist eben eine Demokratie, da setzt sich kein Unrecht durch, auch wenn wir am Anfang eine harte Durststrecke durchstehen müssen.“

Fast möchte man ihm wünschen, daß er sein naives Demokratieverständnis noch weiter kultivieren kann. Immerhin versuchen in Österreich viele Menschen aus dem grünen und kirchlichen Lager zu helfen. Und auch die Institutionen für Flüchtlinge der UN und der EG haben sich eingeschaltet. Doch die Karten für die Rumänen stehen trotzdem schlecht. Denn nur acht Prozent der Gemeinden sind bereit, Flüchtlinge überhaupt aufzunehmen.